Außerhalb Argentiniens sind die Begriffe "Argentinidad" und Tango Synonyme. Noch weit vor dem Gaucho, dem Rindfleisch und dem Fußball wird der leidenschaftliche Tanz, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus einer Mischung unterschiedlicher Bewegungs- und Musikformen hervorgegangen ist, mit dem südamerikanischen Land in Verbindung gebracht. Die Dokumentarfilmreihe im Berliner Zeughauskino beschäftigt sich im weitesten Sinne mit den Ursprüngen, den europäischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ursprüngen des Tanzes und erkundet nebenbei auch die Tangoleidenschaft in Deutschland.
Vor gut einem Jahrhundert kam der Tango nach Europa. Entstanden ist er wenige Jahre zuvor in zwielichtigem Millieu: irgendwo in den Randgebieten einer Metropole am Río de la Plata, in Montevideo oder in Buenos Aires. Zunächst war es der Tanz der Tagelöhner, der Gestrandeten, der "Compadritos" und anderer rauher Gesellen. Die argentinische Oberschicht rümpfte die Nase! Die Seele des Tangos, sein stilbildendes Instrument, stammt aus Deutschland und wurde ausgerechnet von Missionaren nach Südamerika gebracht: das Bandoneón! Gespielt wurden darauf Lieder mit wenig subtilen Titeln wie "EL CHOCLO" (Der Maiskolben) oder "EL FIERAZO" (Das Schüreisen). Die Moralaposteln schrien auf: "Blasphemie!!" Aber der Tango wurde gesellschaftsfähig: "Früher war es eine orgiastische Teufelei, heute ist der Tango eine Art zu schreiten!" (J.L. Borges)
Erschaffen wurde der Tango von denen, die ihr Land verlassen hatten: in einer der zahlreichen Mietskasernen der "Arabales" einer Metropole am Río-de-la-Plata-Delta liegt sein Ursprung. Dort hausten die Tagelöhner unter erbärmlichsten Bedingungen und auf engstem Raum. Sie waren aus Spanien, Irland, Polen, Italien oder Deutschland nach Argentinien gekommen, um in der "Neuen Welt" ihr Glück zu suchen.
In den Elendsvierteln der Großstädte mischten sich die europäischen Musiktraditionen, die "Mitbringsel" der Millionen von Einwanderern, mit denen der Schwarzen, der ehemaligen Sklaven. Der Tango ist also ein Schmelztiegel, in ihm vermischten sich beispielsweise der Contredanse, die europäische Polka, die Mazurka, die Habanera, die Candombe... Der Tanz entwickelte sich zum sichtbaren Ausdruck der Sehnsucht der Neuankömmlinge nach der zurückgelassenen Heimat, ihrer erlittenen Enttäuschungen bei den Versuchen, sich in der fremden Welt zurechtzufinden, ihrer ständigen Angst, zu scheitern, aber auch der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
In seinem Ursprung war der Tango ein schmutziges Wort, ein "Bordellreptil" wie der Dichter Leopoldo Lugones ihn mit lakonischer Verachtung nannte. Er galt als anzüglich, als lüstern, wurde in den Cabarets getanzt, "la buena gente derrocha sus guarangos decires más lisonjeros" - "die braven Leute ergießen ihre freundlichsten Unflätigkeiten" auf jene, die diesen obszönen "Schlampenschwof" (Borges) tanzten. Um 1910 gelangte der Tango nach Europa, nach Paris, die Hauptstadt des "Chic". Dort setzte er sich in den Salons als Modetanz durch, wurde gebändigt, geschliffen, erzogen. Seine schnodderigen Ton legte er ab, alles aggressive, alles prahlerische (denn schon bald in seinen "Jugendjahren" war der Tango auch der Tanz der "guapos" und "compadritos", der Messerstecher, die ihre Feindseligkeit gegenüber den Obrigkeiten zum Ausdruck brachten), eine gehörige Portion Machotum behielt er trotz allem, genauso wie sein Lamento des Verlustes, seinen melancholischen Charakter. Der Tango kam wieder nach Argentinien zurück, setzte sich auch in den feineren nördlichen barrios von Buenos Aires durch, drang sogar bis in die Konzertsäle vor. Dort wurde er sinnlich und romantisch. Die Texte beschrieben nun nicht mehr so sehr den Überlebenskampf in der Großstadt, sondern betrauerten nun häufiger vergangene oder unglückliche Lieben. Wichtigstes Aushängeschild dieser Epoche ist der schmelzend-schmalzige Carlos Gardel, der eine genauso unbestimmte Herkunft wie der Tango hat. Einer seiner berühmtesten Refrains: "El día que me quieras la rosa que engalana se vestirá de fiesta con su mejor color."
In den 1920ern feierte Gardel seine ersten großen Triumphe, in den 1930ern war er ein Weltstar, nach seinem tragischen Unfalltod 1935 eine Legende. Seine Leinwandauftritte - auch in Hollywood - machen den Tango weltberühmt (TANGO BAR, John Reinhardt, 1935). Heute ist der Tango Ausdruck von "Argentinität", Aushängeschild der argentinischen Kultur.
Die Geschichte des Tangos, seine Anfänge als Tanz und Musik, die mangels Aufzeichnungen im Unhörbaren verschwunden sind und daher viele Leerstellen für Mythen offenlassen, sein Aufstieg, seine klassische Phase mit Protagonisten wie Osvaldo Pugliese oder Aníbal Troilo, sein Verschwinden als Massenphänomen in der Epoche der argentinischen Militärdiktaturen und der Wiederaufstieg als runderneuerter, von Astor Piazolla mit Elementen von klassischer Musik und Jazz versehener Nuevo Tango bilden den Hintergrund für die zahlreiche Tangodokumentationen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen.
Germán Krals EL ÚLTIMO APLAUSO (D/Arg/J 2008) ist eine Art argentinischer "Buena Vista Social Club". Der Regisseur begleitete mehrere Jahre eine Gruppe älterer Tangosänger, die den Tango jenseits der Touristenshows wortwörtlich leben. Er zeigt, wie legändere Bars wie die "Bar El Chino" langsam aussterben und lässt die Glanzzeit des klassischen Tangos für einen Abend noch einmal aufleben. EL ÚLTIMO APLAUSO wird am 7.1. um 20h im Berliner Zeughaus gezeigt. Am 14.1. um 20h wird an gleicher Stelle der zweiteilige Film BANDONION (BRD 1981, Regie Günter Westerhoff, Musik Mauricio Kagel u.a.) gezeigt. „Zwischen 1979 und 1981 dreht Klaus Wildenhahnd drei Filme mit dem Schriftsteller Günter Westerhoff, einem ehemaligen Zechenarbeiter aus Mühlheim an der Ruhr. Doch Westerhoff ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch passionierter Spieler des Bandonions. Fasziniert begeben sich Wildenhahn und Westerhoff auf eine Forschungsreise in die Geschichte des Bandonions, der Leute, die es gespielt haben und noch spielen, und seiner Musik, dem Tango...“
Am 21.01., 20 h wird CAFÉ DE LOS MAESTROS gezeigt (ARG/USA/BR 2008, Regie: Miguel Kohan). Der Film, an dem der OSCAR-Preisträger Gustavo Santaolalla mitwirkte, ist das Gegenstück zu EL ÚLTIMO APLAUSO. Der Komponist der Filmmusiken von BABEL und BROKEBACK MOUNTAIN versammelt die noch lebenden, legendären Begründer verschiedener Tangostile der 1940er und 1950er Jahre vor der Kamera und bringt die Veteranen, die - im Gegensatz zu den Protagonisten von Krals Film - allesamt Ruhm, Ehre und auch finanzielle Anerkennung genossen haben für ein Konzert im ebenso legendären Teatro Colón zusammen.
Am 04.02., 20 h wird BERLIN TANGO präsentiert (D 1998, Regie: Sebastian Schrade). „In den 1990er Jahren herrscht in Berlin das Tangofieber. Erstmals nach Deutschland kommt der Tango schon 1913, und gleich gewinnt er in der Hauptstadt viele Anhänger...“
Am 11.02., 20 h wird die Reihe mit Arne Birkenstocks 12 TANGOS - ADIÓS BUENOS AIRES abgeschlossen. „Zur Musik eines All-Star-Orchesters, das beim wöchentlichen Ball 12 Tangos spielt, kreuzen sich im populären Tangoclub ’Catedral’ in Buenos Aires die Lebenswege alter und junger Menschen, von Musikern, berühmten Tänzern und all jenen, die in Argentinien für sich keine Zukunft sehen. Der Tango als Droge in der Wirtschaftskrise (...) Wir sehen die letzten Aufnahmen vom legendären Bandoneon-Spieler José Libertalla und des ebenso großen Tango-Sängers Jorge Sobral...“
"Zeughauskino", Deutsches Historisches Museum (Zeughausgebäude Eingang
Spreeseite), Unter den Linden 2, 10117 Berlin. www.zeughauskino.de, www.dhm.de
Text: sp + Zitate aus den Filmankündigungen auf der Internetseite der argentinischen Botschaft
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