¿Cómo explicar el sentido de la aventura de Julio Verne?… Sencillamente buscando a los exploradores de hoy día que hacen los mismos viajes que él imaginó hace un siglo. Por ejemplo, para el “Viaje a la Luna” filmé a un astronauta que vivió 6 meses en el espacio. Para “Cinco semanas en globo” filmé a un piloto de globos. Para los viajes polares encontré a una mujer que cruzó a pie la Antártica (hizo 3.500 kilómetros caminando). Así fui conociendo poco a poco el verdadero espíritu de Julio Verne, un explorador infatigable de las ciencias”. P.G.
Die Kinematographie ist ein Medium der Dynamik. Jedes Bild ist Bewegung und konstituiert sich – sichtbar und unsichtbar - aus ihr. In ihren Anfängen findet die Bewegung zunächst nur durch die Objekte vor der Kamera statt: bekanntestes Sujet des frühen Films ist die Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof. Aber bereits 1897 setzt ein Mitarbeiter der Brüder Lumière eine Kamera in eine Gondel in Venedig und versetzt sie damit in Bewegung.
Die Operateure der Filmpioniere werden auf alle Kontinente geschickt und liefern dem staunenden Publikum dokumentarische Aufnahmen aus aller Welt. Dabei wird der Blick der Kamera immer ausgefeilter mit Hilfe technischer Fortbewegungsmittel, wie der Eisenbahn, dem Schiff oder durch den Fesselballon, mobil gemacht. Bald muss der Zuschauer nicht mehr zu Weltausstellungen oder Völkerschauen gehen, um sich ein Bild von „Alt-Paris“ oder dem Leben in „afrikanischen Eingeborenendörfern“ zu machen, die Ferne und das Exotische werden ihm als perfekte Illusion von Wirklichkeit auf der Kinoleinwand nahe gebracht.
Der französische Philosoph Gilles Deleuze spricht in Bezug auf den Film vom „Bewegungs- Bild“ und von Bewegungsbildtypen. Der bewegliche Schnitt der Filmmontage, der die Bewegung der Kamera unmerkbar machen und die Chronologie der gemachten Aufnahmen aufbrechen soll, ergänzt die Bewegung vor der Kamera und durch die Kamera und vervollständigt damit das Bewegungs-Ganze. Noch bevor sich der Langfilm etabliert, entstehen die ersten Reisefilme, in denen sozusagen die Kopplung von Bild und Bewegung selbst zum Thema gemacht wird.
An dieser Stelle ist der Name George Méliès zu nennen. Méliès – von Beruf Illusionist – steht für den utopischen Aufbruch und für die Vermählung des Phantastischen mit dem Exotischen. Sein berühmtester Film aus dem Jahre 1902 beschreibt eine Reise, die weder realistischen Geographien noch physikalischen Gesetzen folgt und über die Grenzen des Erdballs hinausführt: LE VOYAGE DANS LA LUNE. Als Vorlage für die REISE ZUM MOND diente ihm der Roman des gleichen Titels von Jules Verne (1865) –so berichtet er selbst wenige Jahre vor seinem Tod in einer Umfrage. Will man die Bezeichnung auf einen Film von nur wenigen Minuten Länge anwenden, so handelt es sich um die erste Literaturverfilmung. Zumindest ist es die erste in einer langen Reihe von Verfilmungen von Jules Verne-Stoffen. Von Méliès stammen auch die ersten Adaptionen von 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER und DIE EROBERUNG DES POLS. DIE REISE DURCH DAS UNMÖGLICHE (1904) nach Verne’schen Motiven – eine Reise um die Welt unter Einsatz aller denkbaren Fortbewegungsmittel – nimmt schon DIE REISE UM DIE ERDE IN 80 TAGEN vorweg.
Warum beschäftigte sich Méliès so intensiv mit Jules Verne? Wir können nur spekulieren: Vielleicht las er DE LA TERRE À LA LUNE in seiner Jugend? Möglich wäre es: er war elf Jahre alt, als der Roman in der Zeitschrift LE MAGASIN D’ÉDUCATION ET DE RÉCRÉATION erschien.
Etwa in diesem Alter lernte der Regisseur Patricio Guzmán (*1941) die phantastischen Welten von Jules Verne kennen. Er bekam die Abenteuergeschichten von seiner Hauslehrerin geschenkt und verfolgte in seinem Kinderzimmer in Santiago de Chile die Reisewege der Protagonisten der HISTOIRS EXTRAORDINAIRES mit dem Zeigefinger auf dem Atlas auf seinen Knien nach. Er war als Kind ein Reisender, ohne das eigene Zimmer zu verlassen. Später musste Patricio Guzmán seine Heimat ohne es zu wollen verlassen. Die Geschichte ist bekannt: LA BATALLA DE CHILE, sein erstes großes Werk, ist ein panoramischer Blick auf Salvador Allendes Präsidentschaft ab 1970 geplant gewesen. Am 11.9.1973 hatten die Putschisten um Augusto Pinochet das demokratisch legitimierte, sozialistische Experiment in Chile zerstört. Dieser epische Dokumentarfilm ist damit eine Art Requiem – Guzmán lässt für die Dauer von viereinhalb Stunden die Toten auferstehen und trauert um den Verlust der Unschuld seines Heimatlandes.
Seine Anteilnahme zwang ihn ins Exil, der erste Teil des Werkes, das im Laufe der Jahre zu einer Trilogie wurde, konnte erst auf der Flucht vollendet werden.
Wie sich Chile in den auf den „anderen 11.September“ folgenden 16 Jahren veränderte, erfahren wir, wenn wir die Reportage „Das Abenteuer des Miguel Littín“ lesen, die Nobelpreisträger Gabriel García Márquez nach den Erinnerungen des Regisseurs Littín verfasste, der zu Beginn der 80er Jahre aus dem Exil illegal seine Heimat bereist hat, oder wir erahnen es, wenn wir aktuelle chilenische Produktionen über die bleiernen Jahre der Diktatur wie MACHUCA (2004), TONY MANERO (2009) oder POST MORTEM (2010) sehen.
In MON JULES VERNE (2005) „entführt“ Patricio Guzmán den Zuschauer zunächst einmal in das Chile seiner Jugend, in eine (noch) heile Welt. Diese nostalgische Rückkehr als Ausgangspunkt eines Filmes finden wir auch in seinem aktuellen Werk LA NOSTALGIA DE LA LUZ (2010). Sie kann als Bekenntnis aufgefasst werden; als Bekenntnis, aufrichtig zu sein. Es ist eine Herzensangelegenheit für ihn, Jules Verne zu porträtieren.
Wenn ein Filmemacher einen Film über einen Schriftsteller dreht, dessen Werke hundertfach verfilmt wurden, dann stellt sich die Frage, dann klingt auch immer die Frage mit, warum sie sich so gut für Literaturadaptionen eigenen.
Im ersten Kapitel der TOUR DU MONDE EN QUATRE-VINGTS JOURS findet sich folgende Beschreibung: „Im Jahre 1872 wurde das Haus Savile Row 7, im Londoner Stadtteil Burlington Gardens (…) von Phileas Fogg bewohnt, der ein ganz besonderes und auffälliges Mitglied des Reform-Clubs von London war, obwohl er sich alle Mühe gab, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. (…) Jetzt, kurz nach halb zwölf Uhr vormittags, befand sich Passepartout also allein in dem Haus in der Savile Row. Sogleich begann er, sich gründlich darin umzusehen, vom Keller bis zum Dachboden. Dieses gepflegte, ordentliche, puritanisch nüchterne Haus war leicht in Ordnung zu halten. Es gefiel ihm und erinnerte ihn an ein schönes Schneckengehäuse, nur dass es mit Gas beleuchtet und beheizt wurde. »Das gefällt mir! Das paßt!« sagte sich Passepartout.“
In MON JULES VERNE präsentiert Guzmán das Originalmanuskript dieser Geschichte, um die Arbeitsweise des Autors und das Zusammenspiel mit seinem Verlegers Pierre-Jules Hetzel zu rekonstruieren. Auffallend sind dessen handschriftlichen Anmerkungen, die etwa „fehlendes Tempo“ monieren.
Das Manuskript, das Züge eines Drehbuches aufweist, die Aufforderung des Herausgebers „mehr Action“ in die Geschichte hineinzubringen, der direkte Stil der Erzählung, gepaart mit der Beobachtung des Handelnden und seiner Bewegung im halbsubjektiven Blick wirkt dabei „filmisch vor dem Film.“ Die Art und Weise, wie die Welt des exzentrischen englischen Adeligen im 1873 erschienene Roman erzählerisch greifbar gemacht wird, mutet, noch bevor bewegte Bilder um die Jahreswende 1895/96 erstmals öffentlich vorgeführt werden, bereits an einen Film an.
So wie ein Leser, wie beispielsweise der junge Patricio Guzmán bei der Lektüre imaginäre Reisen unternimmt, ist auch der Kinozuschauer ein Reisender, der nicht den Kinosaal zu verlassen muss. Während sein Körper passiv im Kinosessel bleibt, bewegt sich nur sein Auge durch einen dynamischen Bildraum. Aber auch als „Reisender im Stillstand“ lässt er sich in andere fremde Welten entführen. In seinen Anmerkungen zum Massentourismus schreibt Hans Magnus Enzensberger, eine Reise sei heute durch Normung, Montage und Serienfertigung gekennzeichnet. Alles Begriffe, die sich auch auf die Kinematographie beziehen lassen. Man könnte diese Überlegungen zum Anlass nehmen und behaupten, das im 19. Jahrhundert verwurzelte Medium Film nehme den Massentourismus des 20. und des 21. Jahrhundert vorweg. Es demokratisiert das vormals exklusive und elitäre Reisen, macht es zu einem allgemeinen Wahrnehmungshintergrund ohne dass die tatsächliche Überwindung von großen Distanzen nötig wird: „Ich kann eben noch in Sidney gewesen sein und bin gleich darauf in Magdeburg. Ich brauche nur die entsprechenden Filmstreifen aneinander zu kleben“ - dies schreibt der Filmtheoretiker Rudolf Arnheim. Das Kino befriedigt die „Seh-Süchte“ des Publikums. Mit MON JULES VERNE, einem einstündigen für „Arte“ produzierten Dokumentarfilm zeigt Patricio Guzmán, wie „lebendig“ heute selbst in Zeiten des Massentourismus immer noch das Werk von Jules Verne ist, welche Sehnsüchte es immer noch hervorruft.
Die Reisen, die seine Protagonisten machen, sind oftmals „voyages extraordinaires“. Manche Menschen hatten das Glück, diese nachzuvollziehen zu können.
Patricio Guzmán interviewt die Personen, die Grenzsituationen erlebt haben, Widerstände gleich Bergen überwunden haben, den Herausforderungen getrotzt haben, Personen, die tatsächlich als Ballonfahrer Entdecker geworden sind, die zum Südpol, zum MITTELPUNKT DER ERDE, wie Kapitän Nemo im Meer oder gar bis zum Mond gereist sind. Man könnte an dieser Stelle auch Vergleiche zum deutschen Filmemacher Werner Herzog ziehen, der gerne Grenzsituationen stilisiert, Menschen zeigt, die obsessiv gegen die Gesetze der Natur aufbegehren, seien es fiktive Figuren wie FITZCARRALDO oder STROSZEK oder auch die Protagonisten seiner Dokumentarfilme, die –etwa Reinhold Messner oder der Skispringer Steiner – gegen die physische Limitierung des Menschen kämpfen. Es gibt Gemeinsamkeiten: wie auch Guzmán positioniert sich Herzog innerhalb seiner Dokumentarfilme (man denke nur an den Film über seinen LIEBSTEN FEIND Klaus Kinski), bei den Dokumentarfilmen beider ist die Erzählerstimme des Regisseurs von großer Bedeutung, sie leitet durch den Film, zieht den Zuschauer in ihren Bann.
Hier hören die Überschneidungen im Werk aber schon auf. Anders als Guzmán verwischt Herzog die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion. „There are deeper strata of truth in cinema, and there is such a thing as poetic, ecstatic truth. It is mysterious and elusive, and can be reached only through fabrication and imagination and stylization.“ (Zitat aus Herzogs „Minnesota Declaration“ zu „Wahrheit und Fakten im dokumentarischen Film“, 1999) Dem Film LEKTIONEN IN FINSTERNIS (1992) stellte Herzog ein (vermutlich von ihm) erfundenes Blaise-Pascale-Zitat voran: „Der Zusammenbruch der Sternenwelt wird sich – wie die Schöpfung in grandioser Schönheit vollziehen.“ Herzog porträtiert oftmals „Helden“ – etwa Aguirre, Fitzcarraldo, oder GRIZZLY MAN Timothy Treadwell - deren Scheitern sich „in grandioser Schönheit vollzieht.“ Das will Guzmán nicht. Das tragische Scheitern Salvador Allendes vollzog sich nicht in grandioser Schönheit, es war für ihn eine grausame Katastrophe. Auch leiten Herzog andere Interessen bei MON JULES VERNE. Er befragt die Protagonisten nach ihren Erfahrungen und ihren Erinnerungen, an ihren ersten Kontakt mit dem Werk von Jules Verne.
Aber was er wirklichen wissen will ist, ob sie ähnliche Erinnerungen an dessen literarisches Werk teilen. Sind sie genauso wie er dadurch in ihrer Kindheit zum Träumen ermutigt worden? Hat es sie ebenso inspiriert? Letztlich möchte er bei seinem autobiographisch eingefärbten Porträt von „seinem Jules Verne“ doch noch herausfinden, warum dessen Werk bislang schon mehr als fünf Generationen von Rezipienten in ihren Bann zog.
Vielleicht ist es ja folgendes: Vernes schrieb mitten im 19. Jahrhundert, das als „wissenschaftsgläubig“ gilt und das von der Wissenschaft eine wunderbare Zukunft erwartet. Er gibt sich als Geograph, Biologe, Historiker, Physiker, Geologe, Astronom, Mechaniker, Mathematiker etc., verbindet Weltwissen mit Vision. Gerade, das, was heute immer noch Utopie ist, begeistert, fasziniert die Menschen, inspiriert Abenteurer und ebenso Künstler und Filmemacher, die Phantasien des Autors genauso phantasievoll umzusetzen. Am Ende des Films hören wir Jean-Luc Courcoult, den Leiter der Straßentheatergruppe Royal de Luxe, sehen die Parade der Maschinenmenschen und Riesenmarionetten, die nach Motiven von Jules Vernes gestaltet sind und von den Mitgliedern der Theaterkompanie gelenkt werden, durch Nantes ziehen, sehen die Zuschauer dieser Performance und teilen ihre Begeisterung.
Sven Pötting
Regie, Drehbuch: Patricio Guzmán.
Assistenz: Camila Guzmán
Kamera: Jacques Bouquin
Ton: André Rigaut
Schnitt: Eva Feigeles
Musik: Jorge Arraigada
Künstlerische Beratung: Renate Sachse
Produktionsleitung: Dominique Barneau
Produktion: Ex Nihilo/ARTE.
Sven Pötting
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