Hier kommt noch ein Nachtrag zur Berlinale. Kein Artikel über einen lateinamerikanischen Film, aber ein Artikel über einen Film, der zu Recht beim Festival ausgezeichnet wurde, wenn auch nicht mit dem Hauptpreis.
Präsentiert wird der Film BARBARA von Christian Petzold. Wie gesagt, kein lateinamerikanischer Film, aber vielleicht ein Film von Interesse für unsere Leser in Lateinamerika.
Christian Petzold wurde für seinen neuesten Film mit dem Regiepreis der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet. Eine kleine Enttäuschung, denn BARBARA war eindeutiger Favorit der Besucher und Kritiker für den Hauptpreis des Festivals. Den „Goldenen Bären“ den Brüdern Taviani zu überreichen war keine vollkommen ungerechtfertigte aber dennoch eine überraschende Entscheidung der Jury. CESARE DEVE MORIRE ist ein halbdokumentarischer Film, der eine wenig originelle Idee solide umsetzt. Prämiert wurden vor allem das Lebenswerk der Brüder Taviani, wie auch die Leistung der Laienschauspieler, die - allesamt Insassen eines Hochsicherheitsgefängnisses - JULIUS CÄSAR inszenieren und aus dem alten Text Shakespeares mehr über ihr eigenes Leben, ihr eigenes Scheitern und ihr eigenes Land erfahren, als es ihnen eigentlich lieb ist.
Die von Nina Hoss gespielte, titelgebende Protagonistin aus Christian Petzolds Film glaubt, schon genug über ihr Heimatland zu wissen. Die Ärztin wird im Sommer 1980 aus der Hauptstadt der DDR in ein kleines Dorfkrankenhaus an die Ostseeküste versetzt. Ein Ausreiseantrag war schon Anlass genug zur Strafverfolgung und zur „Zersetzung ihres Freundeskreises,“ wie es von offizieller Seite heißt. Während ihr West-Geliebter (Mark Waschke) Barbaras illegale Ausreise vorbereitet, führt sie ein provisorisches Leben in der Provinz, in äußerstem Misstrauen gegenüber ihrem Umfeld, in ständig in Angst, ihre geplante Flucht könnte entdeckt werden.
Ihre Paranoia ist zumindest teilweise berechtigt, wie sie anhand ständigen Kontrollen durch die Stasi, inklusive erniedrigenden Leibesvisitationen, feststellen muss. Den zersetzenden Kräfte des Systems trotzt sie mit äußerster Distanz gegenüber ihren Mitmenschen und ständigem Misstrauen. Allerdings kann sie auch den Schutzpanzer nicht in den Momenten ablegen, die sie mit ihrem Geliebten alleine verbringen kann – Intimität, Sinnlichkeit oder Glück will bei kurzen Begegnungen in einem Interhotel nicht aufkommen. Auf der anderen Seite schützt er auch nicht ausreichend vor dem vertrauensvollen und hilfesuchenden Blick Stellas, einer Patientin Barbaras, die aus einem Jugendheim flüchtete, ein Kind erwartet und einfach nur aus der DDR weg will.
Außerdem ist da André (Ronald Zehrfeld), ein idealistischer Arzt und ihr Chef. Ist er Freund oder Feind? Ist er in sie verliebt oder ist sein jugendlicher Charme geschickte Lüge? Wickelt er sie nur ein, um sie einfacher für die Stasi ausspionieren zu können?
BARBARA daher kein typischer Film über diese Epoche deutsch-deutscher Geschichte, zudem weitgehend klischeefrei, ohne ostalgische Verklärung aber auch ohne melodramatische Zuspitzung. Zum Vergleich: Auch DAS LEBEN DER ANDEREN gibt dem Zuschauer ein Gefühl für das, was Überwachungsstaat bedeutet. Allerdings werden in Florian Henckel von Donnersmarcks Film, der bislang die Standards bezüglich des „DDR-Films“ setzte, fast alle Menschen in erster Linie als Opfer und damit „gute Menschen“ gezeigt. Selbst der von Ulrich Mühe dargestellte Stasi-Offizier wird zu einem „Stasi-Schindler.“ Rüdiger Suchsland schrieb einst zu DAS LEBEN DER ANDEREN, es handele sich um einen der Filme, wie er Kulturstaatsministern gefalle. Er mache die DDR einfach, klar und eindeutig, so dass man nicht mehr viel nachdenken müsse. Er zerteile die Vergangenheit in kleine, mundgerecht konsumierbare Stücke, in Unterrichtseinheiten.
Insofern unterscheidet sich Petzolds Film angenehm von DAS LEBEN DER ANDEREN, von dem Film, von dem sein Regisseur (und das Gros der Kritiker) behauptete, er erzähle „die Wahrheit“ über die DDR. Auch BARBARA erzählt nicht die Wahrheit über die DDR, aber das behauptet Christian Petzold auch nicht.
Eine Spruchtafel mit der Aufschrift: „Mit Optimismus sehen wir in die Zukunft“ wird beiläufig gezeigt. Die DDR wird so als perspektivloser Staat präsentiert, der nur eine begrenzte Lebensdauer hat: die Tafel unter Honeckers Porträt ist verblichen, der Leitspruch ist eine hohle Phrase an die niemand mehr glaubt. Der Staat befindet sich in Dekadenz, die „nachholende Revolution“ (Jürgen Habermas), den Anschluss an den demokratischen Rechtsstaat und den kapitalistischen Westen, sprich: die Vereinnahmung des Ostens durch den Westen, steht schon bevor. Symbolisiert wird sie durch den „Großen Quelle-Katalog,“ den Barbara im Interhotel, während sie auf ihren Geliebten wartet, durchblättert. Wie immer ist die Ökonomie bei Petzold ein entscheidendes Thema. Hier ist das unvermeidlich Kommende das, was Barbara an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zur Flucht zweifeln lässt. Ihr Freund verspricht ihr ein Leben in Wohlstand und in Sicherheit. Sein leichtfertig hingeworfener Satz, „Du brauchst nie wieder zu arbeiten, ich verdiene genug für beide“, macht Barbara Angst. Sie befürchtet mit der Flucht einen Fehler zu begehen und ihre Gewissheiten geraten bei dem Gedanken daran, dass auch das Leben im Westen ihr nicht die Freiheit, eigene und freie Entscheidung treffen zu können bieten wird, ins Wanken. Sie muss eine einsame Entscheidung fällen.
Die Einsamkeit von Petzolds Figuren spiegelt sich in der Abgeschiedenheit seiner Schauplätze. In YELLA war es ein Hotelzimmer am grünen Rand von Hannover, in JERICHOW ist es ein Haus im Wald, in BARBARA ist es der Ort am Waldrand an dem sie die Westdevisen versteckt. Dass sie trotzdem immer befürchten muss, entdeckt zu werden, spiegelt sich in dem konstanten Pegel von Lärm – etwa dem Rauschen der Bäume - in der Stille des Landes, der die Spannung teilweise wie in einem Thriller ansteigen lässt.
Dass BARBARA ein Gegenstück zu Petzolds Film YELLA, aber auch dessen logische Fortführung ist, zeigt ein Interview, das Petzold 2008 mit Marco Abel führte:
„I discovered the mythological location of so many German legends—the river landscapes, etc.—as a place abandoned by the women who used to live there. All the women gone: this was the first moment when I thought, this is movement, this is an image, and I can make a film about this! Then I watched Fritz Lang's The Blue Gardenia (1953), for I was always curious about these women who, in the 1930s in the U.S., live together in large urban environments, working as phone operators or in department stores, who are nineteen, twenty years old, and who all came from the country, from Arizona, Texas, Montana, who now sit in bars and become protagonists in gangster stories, who are there to find millionaires. And I thought: where did all the girls from the former East Germany go? Which dreams do they have? What kind of fortune hunters are they? Then I read a lot about Irish women. And when you watch John Ford films, you notice how women always seem to sit in the front of stagecoaches. Of course it is the men on whom the films focus—they fight, shoot, scream—but it is the women who are the real agents of movement. One always has the feeling that it is the women who leave because there is no place for them anymore, no riches, no one who can take care of them. And this was the starting point for YELLA: we narrate the topic of the reunification as a story about a woman who is looking for fortune.“
Nina Hoss spielt die von ihr dargestellte Barbara fein nuanciert. Je mehr Zeit sie in ihrem Exil verbringt, das sie zunächst wie das Leben in der DDR an sich als Gefängnis empfindet, desto mehr Menschlichkeit scheint ihr zu begegnen. Ohne ihre Angst zu verlieren, öffnet sie sich und beginnt an ihren bisherigen Gewissheiten zu zweifeln, bis sie sich am Tage ihres Fluchtversuches plötzlich entscheiden muss. Ob Barbaras letztendlicher Entschluss, von ihr auch weiterhin als richtig wahrgenommen wird, ob ihr Leben weiterhin eine Art Schwebezustand sein wird, bleibt offen. Zuvor war sie ein Individuum, das sich falschen Ort befindet, das Angst vor der neuen Zeit hatte aber in der Gegenwart trotzdem nicht so recht Fuß zu fassen schien. Eine Ortlose, die auch von ihrem Umfeld als ortlos erkannt wurde.
http://www.cineaste.com/articles/an-interview-with-christian-petzold.htm
Sven Pötting
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