Der Titel der neuen Filmreihe im Berliner "Arsenal"- Kino führt ein wenig in die Irre. Denn die Filme der "Magical History Tour" markieren Zäsuren der Filmgeschichte. Präsentiert werden Filme, die in Momenten des Wandels, der Umbrüche oder Krise entstanden sind oder Filme, die selbst zu Umbrüchen beitrugen. In dieser Filmreihe wird auch ein argentinischer Film präsentiert.
In den sechziger Jahren gibt es im ganzen lateinamerikanischenRaum Bestrebungen, eigene filmische Ausdrucksmöglichkeiten zu finden,ein originär lateinamerikanisches, von Hollywood unabhängiges Kino zukreieren. Die Resultate gehen unter dem Namen "NeuesLateinamerikanisches Kino" in die Filmgeschichte ein. Das "NeueLateinamerikanische Kino" ist politisch, der Impetus der Regisseure istbeeinflußt von der kubanischen Revolution, linken Bewegungen auf demsüdamerikanischen Kontinent und der weltweiten 68er Bewegung. EineSchlüsselfigur in diesem Prozess der filmischen "Entkolonialisierung"ist der 1936 in Buenos Aires geborene Fernando "Pino" Solanas. Er istneben Glauber Rocha, Miguel Littin, Santiago Alvarez, Fernando Birrioder Jorge Sanjines einer jener Lateinamerikaner, die sich nicht nur inkulturpolitischen, antiimperialistischen Manifestenäußerten. DieMotivation von Solanas, zur Filmkamera zu greifen, um sich politisch zuengagieren ist die soziale und politische Situtation, die in den 60erJahren in Argentinien vorherrscht: Das Land befindet sich in einerKrisensituation, es wird von scheindemokratischen Regierungen und vonMilitärs regiert. Es herrschen Korruption, Misswirtschaft undRepression vor, die Lebensbedingungen für die Bevölkerungverschlechtern sich rapide, Ende der 60er Jahre bricht die Gewalt offenaus, es kommt zum sogenannten "Cordobazo" einem vom Militär blutigniedergeschlagen Streik in der Industriestadt Córdoba. Zudem ist dasLand politisch tief gespalten. Auf der einen Seite sind die Anhängerdes charismatischen Caudillos Juan Domingo Perón, der 1955 vom Militärals Präsident abgesetzt wurde, auf der anderen Seite sind dessenGegner. Obwohl schon mehr als eine Dekade im Exil, bestimmt Perón diePolitik in Argentinien immer noch indirekt und direkt mit und wird vonTeilen der Bevölkerung als "Heilsbringer", als nationalerFriedensstifter verehrt und zurückersehnt. LA HORA DE LOS HORNOS istder subversive Kommentar des Regisseurs Fernando Ezequiel "Pino"Solanas und seines Filmpartners Octavio Getino auf diese Situation, siesind auf der Seite der Peronisten. Ihr Film ist ein Weckruf des Volkeszum politischen Bewußtsein, ein unverhohlener Aufruf zu einem radikalenPolitikwechsel, zum Sturz des Präsidenten General Juan Carlos Onganía(1966-1970). Mittel zum Zweck ist die „revolutionäre Filmsprache“ von LAHORA DE LOS HORNOS. Der Film ist ein Dokumentarfilmessay, der seineWirkung durch symbolisch aufgeladene Bilder erreicht, die mitdidaktisch-agitatorischen Zitaten in einer "dialektischen Montage derIdeen und Erschütterungen" verknüpft werden. Seine Rhetorikemotionalisiert: "Ein Volk ohne Hass kann nicht siegen", verkündet einInsert in dem insgesamt dreiteiligen, fast vierstündigen Werk. Die Bildsprache ist am besten mit den Filmen des sowjetischen RegisseursSergej Eisenstein zu vergleichen. Aberauch andere europäischeRegisseure der Avantgarde von 1920-1960 von Dziga Vertov über Jean-LucGodard bis zu Luis Buñuel, dessen sardonischem Blick auf dieBourgeoisie die Filmemacheraufgreifen, werden zitiert. Die Regisseuresehen sich als Guerilleros, mit der Kamera als Waffe. Solanasund Getinolassen an ihren politischen Präferenzen keinen Zweifel: nachdem Sturz der Militärregierung soll der im spanischen Exil lebendenEx-Präsident Juan Domingo Perón an die Spitze des Staateszurückkehren.Träger der befreienden Revolution sind das einfache Volk, die Arbeiter,die "Descamisados", wie die Armenbewegung unter Juan Domingo Peróngenannt wurde. Der erste und interessanteste Teil des Films"Neokolonialismus und Gewalt" ist Solanas und Getinos persönlicheAnalyse und Sichtweise der politischen Situation im "geistig undwirtschaftlich kolonialisierten Lateinamerika." Nach wie vor ist derFilm mitreißend, bewegend, beeindruckend viele Ansatzpunkte von seinerKritik sind auf die heutige Zeit ohne weiteres übertragbar (nichtumsonst greift Solanas in MEMORIA DEL SAQUEO aus dem Jahr 2004 seinErstlingswerk LA HORA DE LOS HORNOS wieder auf.) Oft hat der Film aberseinen hauptsächlichen Wert als historisches (Film-)Dokument, das somanchem Alt-68er nostalgische Gefühle bescheren dürfte. Besonders dasBild des toten Che Guevaras, die letzte Einstellung des Films wird alsSinnbild einer gescheiterten Utopie den ein oder anderen Seufzerhervorrufen. Gedreht wurde LA HORA DE LOS HORNOS heimlich, alssubversive Aktion, fertiggestellt wurde er im Exilland Italien. Diepolitische Aktivität ging aber noch weiter, schließlich wurde der Filmnach Argentinien zurückgeschmuggelt und dort in heimlichen Aktionen mitanschließender Diskussionsrunde vor insgesamt ca. 100000 Zuschauerinnen und Zuschauer gezeigt. Es waren nicht wenige Personendie wegen dieses Films ins Gefängnis mussten.
LA HORA DE LOS HORNOS wird am 10.4. ab 18 Uhr im Berliner "Arsenal" gezeigt.
Weitere Informationen zum Regisseur Fernando "Pino" Solanas gibt es hier .
Informationen zu seinen Filmen gibt es im Lexikon von kinolatino.de.
Zu seinem Oeuvre zählen TANGOS - EL EXILIO DE GARDEL , SUR oder MEMORIA DEL SAQUEO
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