Vor 30 Jahren traten die „Madres de la Plaza deMayo“ in Argentinien zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auf.Das gute Dutzend protestierender Frauen vor dem Präsidentenpalastbildete den Grundstein für eine der wichtigstenMenschenrechtsbewegungen Lateinamerikas. Ihren bis heute andauernderKampf um Antworten und gegen das Vergessen, würdigt der argentinische Regisseur EduardoWalger nun in seinem Dokumentarfilm MADRES.
Am 30. April 1977trafen sich trotz des herrschenden Versammlungsverbots zum ersten Malein paar Frauen auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast vonBuenos Aires, der „Plaza de Mayo“, und stellten eine mutigeFrage: „Dónde están?“ Die Frauen trugen weißeKopftücher und hielten Fotos in ihren Händen. Die Fotoszeigten ihre Kinder und ihre Enkel, die verschwunden waren. Dieeinfache Forderung der Frauen war, eine Auskunft über deren Schicksalzubekommen. Im April 1977 herrschten seit gut einem Jahr die Militärsin Argentinien, zu diesem Zeitpunkt waren schon ein paar TausendMenschenverschwunden und sind nie wieder aufgetaucht. Bis zum Ende derMilitärdiktatur sollten es schätzungsweise 30.000 „desaparecidos“ sein.Es handelte sich dabei um von paramilitärischen Einheiten entführtevermeintliche Oppositionelle, viele von ihnen wurden gefoltert, diemeisten von ihnen getötet. Von manchem fand man später nichteinmal mehr die sterblichen Überreste, weil sie aus Frachtflugzeugenüber dem Meer abgeworfen wurden. Vermutlich hatde facto Staatspräsident Jorge Rafael Videla an diesem 30. Aprilnichts von dieser Mini-Demonstration mitbekommen. Wenn ja, hat er siezumindest nicht ernst genommen. Aber diese Frauen kehrten wieder,jede Woche, jeden Donnerstag, immer um die gleiche Zeit. Es wurdenimmer mehr undsie alle stellten beharrlich die gleiche Frage: „Dónde están?“Diese „Madres de la Plaza de Mayo“ führten einenfriedlichen Aufstand gegen die Militärjunta. Auch als dieStaatsmacht Repressionen anwandte, sie immer wieder Gewalt undVerhaftungen ausgesetzt waren und auch einige der „Madres“entführt und getötet wurden, setzten sie ihren Kampf inForm eines friedlichen Protestes unbeirrt fort. Ins Blickfeld derWeltöffentlichkeit rückten sie, als Argentinien dieFußballweltmeisterschaft veranstaltete - und die Müttersich mit einem Appell an die ausländischen Journalisten wandten. Dieserfand international Beachtung, die „Madres“ wurden zu einem Symbol desKampfes gegen den Staatsterrorismus in Argentinien und trugenmaßgeblich zur internationalen Ächtung des Regimes bei. Hebe Bonafini,die Gründerin und heutige Präsidentin der „Madres“ istsich der Bedeutung ihres Protestes bewußt: "Dieser Marschder Mütter war ein Protest, auf den alle gewartet haben. Weil erein Zeichen war, ein Zeichen, Mut zu zeigen, den Kampf fortzusetzen -den Kampf gegen die Mörder unserer Kinder, gegen die Militärs.Die ganze Welt half uns, kam, hörte uns zu." Inzwischen istihre Bewegung eine nationale Institution mit Zentrum, Zeitung,Bücherei. Auch heute marschieren sie noch, heute fordern Justiz,wo keine ist, die Verhaftung der alten Tyrannen von denen immer nochviele auf freiem Fuß sind. Und auch wenn sie heute wissen, dasssie ihre Verwandten nie mehr sehen werden, stellen immer noch diegleichen unbequemen Fragen. „Unser Widerstand geht weiter, weilwir die Wahrheit nicht kennen, weil wir nicht wissen, was mit unserenKindern passiert ist.” Ihre Anstrengungen gelten auch den rund 500Babys, die damals die Militärs ihren Opfern weggenommen und zurAdoption freigegeben hatten. Das Schicksal von rund 50 heute jungenErwachsenen wurde schon aufgeklärt. Seit ein paar Jahren habensie auch einen mächtigen Verbündeten: den argentinischenPräsidenten. Die Amnestiegesetze und Gnadenerlasse, die dieMilitärs lange geschützt hatten, sind auf Betreiben desseit 2003 regierenden Präsidenten Néstor Kirchner inzwischenaufgehoben. An wichtigen Gedenktagen stehen auch immer einige der„Madres“ an der Seite des Präsidenten. Trotz aller Trauerüber das Schicksal der Verschwundenen: zumindest ein wenigdürfen die „Madres de la Plaza de Mayo“ stolz sein, aufdass, was sie in den vergangenen 30 Jahren erreicht haben.
Ein filmisches Denkmal setzte Luis Puenzo den „Madres“ inseinem Melodrama LA HISTORIA OFICIAL, dem ersten und bislangeinzigem argentinischem Spielfilm, der bislang den OSCAR gewann. Vor wenigen Wochen wurde Eduardo Walgers Dokumentarfilm erstmalsbeim Filmfestival im argentinischen SeebadMar del Plata gezeigt. Im Unterschied zu anderen Filmenzum Thema, nimmt Walgers Film eine sehr persönliche Perspektiveein. Die Beteiligten erzählen selber ihre Geschichte, der„Madres“ und ihre persönlichen Geschichten; ihr Leben, ihreTräume, Hoffnungen und Ängste in der Zeit vor, währendund nach der Militärdiktatur. So unterschiedlich diePersönlichkeiten und die Geschichten der Frauen auch sind, eines habensiegemeinsam: ihr leidenschaftliches Streben nach Justiz, wenn es nötigist, bis zu ihrem letzten Atemzug.
Text: sp
Bild: tagesschau.de
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