Albertina Carri hat auf der diesjährigen "Berlinale" ihren aktuellen Film LA RABIA mit folgenden Worten vorgestellt: "Es una película bastante cruda." Eine Einblendung am Beginn des Films weist darauf hin, dass alle Tiere bei den Dreharbeiten so gestorben seien, wie sie auch im echten Leben umgekommen wären. Tatsächlich ist LA RABIA ein sehr rustikaler, bisweilen sehr zynischer Film.
Man muss sich die Biographie der heute 35-jährigen Regisseurin anschauen, um einen Zugang zu ihren Filmen zu finden, ihre Filme zu verstehen. Ihre Eltern waren die Soziologen Roberto Carri und Ana María Caruso, sie wurden 1977, in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur verhaftet und kurze Zeit später in einem "centro clandestino" ermordet. Dieses Trauma, das der Staatsterrorismus in Argentinien zwischen 1976 und 1983 ihr und dem ganzen Land hinterlassen haben, thematisiert sie in LOS RUBIOS aus dem Jahr 2003. Der Film ist ein an das Kino Jean-Luc Godards anmutendes ästhetisches Experiment, eine Reflexion über das Thema Gewalt im weitesten Sinne. Von der Gewalt handelt auch LA RABIA.
La Rabia ist ein sehr kleiner Ort in der argentinischen Pampa. Rabia ist auch der Zorn, der die ganze Handlung durchzieht: Der Teenager Ladeado wird von seinem alleinstehenden Vater Pichón oft und brutal verprügelt, Pichón hat eine Affäre mit Alejandra, der Frau des wortkargen, verbitterten Poldo. Streitigkeiten zwischen Poldo und Pichón eskalieren und obwohl Poldo nichts von der Affäre seiner Frau ahnt, bekommt auch sie einige Schläge ab. Und wie schon am Beginn des Films angekündigt, lassen im rauhen Alltag des Landlebens zahlreiche Tiere auf sehr unappetitliche Art und Weise ihr Leben. Wer an der ganzen Aggressivität Schaden nimmt, sind ganz offensichtlich die Kinder. Natí, die Tochter von Alejandra, ist quasí stumm, sie gibt nur tierische Laute von sich, die an die markerschütternden Schreie von Oskar aus Günter Grass' DIE BLECHTROMMEL anmuten. Natís Gedanken - sie weiss von dem Ehebruch ihrer Mutter - sind düster und drücken sich in ihren brutalen Zeichnungen und in ihrem finsteren Gesichtsausdruck aus. Ladeado, der Sohn von Pichón ist ihr einziger Freund und Beschützer, als er genug vom Treiben der Erwachsenen hat, fällt nach der Fassade der familiären Strukturen auch die der Zivilisation endgültig in sich zusammen und es kommt zur finalen Katastrophe.
Eigentlichist La Rabia ein idyllischer Ort, die Natur ist intakt und erscheint erhaben. Es ist die menschliche Verrohung, die die friedliche Grundstimmung überlagert. Der normale Kinozuschauer ist heute durch und damit auch gegen viele Arten von Gewaltdarstellungen abgestumpft, deswegen verlagert Carri sie vor allem auf die Tonebene, um das Publikum zu erreichen. Schweine quieken markerschütternd,Wiesel fauchen, Hunde kläffen, Natí schreit, sogar der Sex zwischen Alejandra und Pichón ist brutal und klingt barbarisch. Dialoge gibt es kaum, die Gewalt eskaliert auch deshalb so, weil die Menschen keine Worte finden, um ihre Wut, ihre Ängste, ihre Zuneigung auszudrücken.
LA RABIA wird einigen Zuschauern auf den Magen schlagen wird (besonders Vegetariern), es ist aber definitiv ein ungewöhnliches Werk über Gewalt, in der sich dokumentarisch anmutende Szenen mit ästhetischenExperimenten abwechseln: die Handlung wird von zahlreichen, abstrakt animierten Sequenzen durchzogen, die - und das ist typisch für das Werk von Albertina Carri - die kindliche Sicht auf die ganzen Ereignisse darstellen.
Der Film ist sehenswert, außerhalb von Filmfestivals wird man aber kaum die Chance bekommen, LA RABIA auf der Kinoleinwand zu sehen.
[Zurück]