Chiles Wunden sind noch nicht verheilt - noch lange nicht. Dies zeigte der Aufruhr, der durchs Land ging, als der frühere Diktator des Landes Augusto Pinochet im Dezember 2006 starb. Seine Anhänger trauerten, seine erbitterten Gegner feierten. Zwischen diesen beiden Gruppen kam und kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Die Menschenrechtsverletzungen, die unter Pinochet (er regierte das Land zwischen 1973 und 1990) begangen wurden, werden mittlerweile vor internationalen Gerichten aufgearbeitet, die Aussöhnung zwischen Anhängern und Widersachern wird noch Jahrzehnte lang auf sich warten lassen.
1970 kam es zu der gesellschaftlichen Polarisierung in Chile, als der Sozialist Salvador Allende zum Präsidenten gewählt wurde. Er verstaatlichte Schlüsselindustrien sowie den Finanzsektor. Am 11. September 1973 wurde er von der Armeeführung gestürzt und kam dabei unter ungeklärten Umständen - vermutlich aber durch Selbstmord ums Leben. Pinochet stilisierte sich zum Retter des Landes, er habe Chile "vom marxistischen Joch" befreit. Unter Allende war das Land an den Rand des Chaos geraten: Streiks, lange Schlangen vor den Geschäften und eine aufgeheizte politische Stimmung kennzeichneten seine Amtszeit. Pinochet liberalisierte die Wirtschaft und machte die Verstaatlichungen wieder rückgängig, das Land erlebte eine erstaunliche wirtschaftliche Prosperität, gleichzeitig wurde die Opposition unterdrückt, es wurden schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Nach amtlichen Zahlen wurden 3194 Regimegegner getötet, viele von ihnen sind "desaparecidos", mindestens 28.000 Personen sind, wie im Bericht einer nach dem Bischof Valech benannten Kommission festgehalten ist, nachweislich gefoltert worden, vermutlich ist diese Zahl aber höher. Zehntausende Chilenen gingen ins Exil. Pinochet selbst brüstete sich: "Ohne mein Wissen bewegt sich in Chile kein Blatt". 1998 ließ der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón den ehemaligen Diktator, der zu diesem Zeitpunkt noch "Senator auf Lebenszeit" war, in London verhaften. In Chile wäre Pinochet wohl kaum verhaftet, erkennungsdienstlich behandelt und unter Hausarrest gestellt worden. Dennoch kam es in seiner Heimat zu einem korrekten Gerichtsverfahren. Verurteilt worden ist er aus "gesundheitlichen Gründen" jedoch nicht, Ärzte stellten eine Altersdemenz fest. Trotzdem versuchte sich Pinochet bis zuletzt als Held darzustellen. In einem langen Fernsehinterview aus dem Jahr 2002, das er problemlos durchstand, zeigte er keine Reue für die in seinem Namen begangenen Menschenrechtsverletzungen. Im Rahmen der Prozesse wurde bekannt, dass Pinochet Geheimkonten in den USA und anderen Ländern besessen hat, wo er Gelder unbekannter Herkunft in zweistelliger Millionen-Dollar- Summe deponiert hatte. Danach wandten sich auch treue Gefolgsleute von dem Mann ab, der sich immer als "hart aber gerecht" hatte feiern lassen.
Sein Tod ließ das geschehene Unrecht vergessen und die gesellschaftliche Polarisierung trat kurzzeitig wieder in den Vordergrund.
Dieser Teil der Geschichte Chiles ist der Hintergrund für Constanze Witts deutsch-chilenische Koproduktion JUAN Y MEDIO. An der chilenischen Panamericana liegt der gleichnamige Fernfahrerstop, der 1973 zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen und Objekt eines Familienstreits wurde. Erzählt wird die Geschichte der fünf Geschwister Norma, Juan, Hugo, Gladys und Betty. Nach 30 Jahren des Schweigens versuchen sie vor der Kamera mit der Regisseurin - der Enkelin von Norma - über die Vergangenheit zu sprechen. Die fünf erzählen, warum sie Pinochet unterstützten, von der Angst vorm Sozialismus, von der Verteidigung ihres Eigentums. Sie erzählen, wie im Juan y Medio der Fernfahrerstreik gegen die Regierung Salvador Allendes organisiert wurde, und von dem Kampf, der später um den Besitz des Restaurants entbrannte. Der Film konfrontiert die kontroversen Erinnerungen der Geschwister. Aus den Erinnerungslücken und Widersprüchen muss sich der Zuschauer selbst ein Bild machen. Es ist das Bild einer gespaltenen Familie und eines gespaltenen Landes.
Filme zum Thema zeigte im September 2003 anlässlich des 30. Jahrestages des Pinochet-Putsches das Filmmuseum Potsdam: http://www.filmmuseum-potsdam.de/de/445-802.htm
sp+Filmmuseum Potsdam + Filmfest München
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