Zwischendem 1. und 11. August findet im malerischen Tessin die 60. Ausgabe desrenommierten internationalen Filmfestivals von Locarno statt. Locarnoist das kleinste der großen Filmfestivals von Weltrang. Hier startetenStanley Kubrick, Milos Forman (AMADEUS) und Jim Jarmusch ihreinternationalen Karrieren, hier feierten in den 60er Jahren Raoul Ruizund Glauber Rocha große Erfolge und machten das "Neuelateinamerikanische Kino" in Europa bekannt. Traditionell werden dieetwa 80 Spielfilme der Hauptprogrammreihen zumeist unter freiemHimmel auf der "Piazza Grande" des Ortes auf einer Großleinwandgezeigt.
Das internationale Filmfestival von Locarno steht für unabhängigesKino, für Autorenfilme mit engagiertem und sozialen Inhalt. Thematischzeichnet sich die diesjährige Jubiläumsausgabe durch Heterogenität aus,geographisch auch: über 30 Länder sind in der offiziellen Auswahlvertreten. Schwerpunkte liegen aber auf Filmen aus Asien und aus denUSA. Aus dem lateinamerikanischen Raum kommen viele Filme ausArgentinien, dem Land, dessen Filmindustrie "einmal mehr seineVitalität unter Beweis" stellt (so Fédéric Maire, der künstlerischeDirektor des Festivals). Seit 2002 ehrt Locarno die Verdiensteeines/einer unabhängigen Produzenten/Produzentin mit einem Preis,der in Erinnerung an den langjährigen Festivalspräsidenten RaimondoRezzonico ins Leben gerufen wurde. Dieses Jahr wird derRaimondo-Rezzonico-Reis an die Argentinierin Lita Stantic verliehen.Sie arbeitet seit den 70er Jahren als Produzentin mit denrenommiertesten Filmemachern des Landes wie beispielsweise AdolfoAristarain (UN LUGAR EN EL MUNDO) und Maria Luisa Bemberg (YO, LAPEOR DE TODAS) zusammen. Seit den 90er Jahren begleitet und fördertLita Stantic einige der talentiertesten Nachwuchsfilmemacher dessogenannten "Neuen Argentinischen Kinos", wie etwa Pablo Trapero (MUNDOGRÚA), Adrián Caetano (BOLIVIA, UN OSO ROJO), Lucrecia Martel oderDiego Lerman (der dieses Jahr auch in der Wettbewerbsjury von Locarnositzt; er wurde 2002 mit dem Silbernen Leoparden für seinen Film TAN DEREPENTE ausgezeichnet). Als Hommage an diese außergewöhnlicheProduzentin wird im Rahmen des Festivals LA CIÉNAGA von Lucrecia Martelin einer Spezialvorführung gezeigt.
Im Hauptwettbewerb läuft LAS VIDAS POSIBLES, einedeutsch-argentinische Koproduktion von Sandra Gugliotta, die bereitsauf dem diesjährigen internationalen Filmfestival von Cannes gezeigtwurde. Der Nebenwettbewerb "Cinéastes du présent" bietet "eineprofilierte Auswahl der radikalsten und innovativsten Werke in Bezugauf Thema, Stil oder Vorgehen - mit dem Ziel, das Kino immer wieder neuzu sehen." Zu sehen sind neben JUÍZO aus Brasilien (Regie: MaríaAugusta Ramos) und ESTRELLAS aus Argentinien (Regie: Federico Léon undMarco Martínez) auch das neueste Werk des chilenischen NachwuchstalentsMatías Bizé. Mit EL BUENO DE LLORAR setzt er seine filmische Reflexionüber Paarbeziehungen fort, die er mit SÁBADO, UNA PELÍCULA EN TIEMPOREAL und EN LA CAMA begonnen hatte. Gleich zwei Sektionen geben den Nachwuchsregisseuren ein Forum. "Léopards de demain" ist Kurzfilmenvon Regisseuren vorbehalten, die bislang noch keinen Spielfilmrealisiert haben (gezeigt wird unter anderem der argentinische BeitragHOY NO ESTOY von Gustavo Taretto), "Ici et ailleurs" zeigt Spiel-und Dokumentarfilme, die sich speziell um die Themen Politik,Gesellschaft und Kunst drehen (hier sind UPA! UNA PELÍCULA ARGENTINAvom Regietrio Tamae Garateguy, Santiago Giralt und Camila Toker und der brasilianische Film HANDERSON E AS HORAS von Kiko Goifman zusehen). Eine Spezialveranstaltung widmet sich einer Reihe von Filmen,die vom Fernsehsender "Canal 7" anläßlich des "200. Geburtstag"Argentiniens produziert wurden. Einige der wichtigsten zeitgenössischen Regisseure ließen sich zu diesem Thema inspirieren.Fünf Filme werden gezeigt, zumeist von Regisseuren, die das ein oderandere mal schon in Locarno Filme präsentiert hatten: MUJERESELEFANTE (Adrián Caetano), 15 MINUTOS DE GLORIA (Paula de Luque, LASEÑAL (Rodrigo Moreno), Stanley (Gustavo Postiglione) sowie URGENTE vonAlbertina Carri. Apropos Adrián Caetano: der Regisseur ist nochein zweites Mal vertreten. In der Sektion "Play Forward", einer"Spielwiese", die sich am Schnittpunkt von Film, Videokunst und anderenKunstgattungen positioniert, zeigt er sein neues Projekt DESPUÉS DELMAR und betritt damit Neuland. Waren seine ersten Arbeiten nochneorealistisch geprägte Filme mit stark sozialer Thematik (etwa PIZZA,BIRRA, FASO und BOLIVIA), UN OSO ROJO (2002) eine Art urbaner Westernund CRÓNICA DE UNA FUGA (2006, in Europa trägt der Film auch denAlternativtitel BUENOS AIRES, 1977) ein spannender Fluchtthriller derin der Zeit der Militärdiktatur angesiedelt ist, so verläßt er mitseinem neuen Film die Konventionen des "konventionellen Kinos". DESPUÉS DEL MAR ist ein experimentelles Projekt, das ursprünglich alsInstallation konzipiert gewesen ist. Last but not least präsentiertsich zum wiederholten Mal das Buenos Aires Laboratory (BAL) undzeigt sechs Filme, die im letzten April im Rahmen des InternationalenFilmfestivals von Buenos Aires (BAFICI) ausgewählt wurden. Mit dieserInitiative möchte das Festival von Locarno die Filmschaffenden ausLateinamerika unterstützen, ihre Projekte zu realisieren. Dieausgewählten Projekte für 2007 sind:
- LA BELLEZA von Daniela Seggiaro (Argentinien)
- RIO FIJMAN von Luís Ortega (Argentinien)
- NAVIDAD von Sebastián Lelio (Chile)
- AGUA FRÍA DE MAR von Paz Fabrega (Costa Rica)
- PUERTO PADRE von Gustavo Fallas (Costa Rica)
- LAS CENIZAS von Raúl del Busto (Peru)
Text: sp + Katalog Filmfestival Locarno
Bild:Lita Stantic
Quelle: Página 12
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