Immer wieder bildet Lateinamerika die Kulisse für große Filmproduktionen aus Europa und den USA. All zu oft transportieren diese leider ein oberflächliches, klischeebeladenes Bild von den Ländern und ihren Bewohnern. Auch Sydney Pollack hat 1990 seine Hollywood-Vision von Lateinamerika auf die Leinwand gebracht. Am Montag, dem 26. Mai ist der Regisseur, Produzent und Schauspieler im Alter von 73 in Pacific Palisades, Los Angeles, an Krebs verstorben. Anlass genug, sich noch einmal seinen Film HAVANNA anzuschauen.
Das Bild, das viele Blockbuster von Lateinamerika vermitteln, lässt sich auf wenige Begriffe zusammenschmelzen: Salsa, Amor, fetischisierte Che-Guevara-Bilder, Fußball, Gewalt und Exotismus. Latin America according to Hollywood: das sind Madonna als Evita Perón, Marlon Brando als Emiliano Zapata, Buena Vista Social Club-Atmosphäre, sinnliche Frauen und jede Menge "schmierige", brutale Pistoleros.
Wie sieht es mit dem Film HAVANNA aus? Definiert Sydney Pollack diese Klischees nur wieder neu? Fügt er ihnen noch eine Facette hinzu?
Worum geht es? Die story von HAVANNA mit Robert Redford, Raul Julia und der schwedischen Schauspielerin Lena Olin in den Hauptrollen verbindet Politik und Privates zu einer Dreiecks-Liebesgeschichte: Anfangs hören wir nur die Stimme Robert Redfords aus dem Off: "Ich bin seit Pearl Harbor an vielen Orten gewesen. Irgendetwas gefiel mir an jedem von ihnen (...) Aber es gibt nur eine Stadt nach der ich mich sehne: HAVANNA..." Weihnachten 1958: Touristen, viele davon aus der High-Society und zahlreiche Glücksritter aus den Vereinigten Staaten befinden sich auf kubanischem Staatsgebiet. Nat King Cole, Dean Martin und Frank Sinatra liefern den "Soundtrack" zum unbeschwerten Leben im dekadenten karibischen Nachtclubparadies, wo alles käuflich, alles Spiel ist. Aber das ist nur Schein: Längst stehen Fidel Castro und die Männer der revolutionären Gruppe "Bewegung 26. Juli" bereit, um den Diktator Fulgencio Batista, der mit freundlicher Unterstützung der US-Regierung das Land fast zwei Jahrzehnte unterdrückte, von der Macht zu vertreiben. Die meisten der Touristen leben aber in einer Illusion, die Zeichen der Zeit werden nur von den wenigsten, die Kuba für einen inoffiziellen Bundesstaat der USA halten und Stadt und Land außerhalb der Kasinos nicht kennen, richtig gedeutet. Jack bemerkt, dass die Rebellen von der 30.000 Mann-Armee Batistas - auch mit Hilfe des CIA nicht mehr lange zurückgehalten werden können. Aber darum macht er sich keine Sorgen. Jack ist ein Charmeur, ein arroganter, abgebrühter Spieler- und Gewinnertyp. Sein Motto lautet: Es wäre gegen meine Prinzipien, wenn ich welche hätte. Er ist nach Kuba gekommen, um die Pokerpartie seines Lebens zu machen. Doch durch die attraktive Roberta gerät er mitten in die Wirren der Revolution, lernt eine für ihn neue Welt kennen. Er verliebt sich auf den ersten Blick in die attraktive Schwedin, die sich als flammende politische Aktivistin entpuppt und sich für soziale Gerechtigkeit engagiert. Doch sie ist verheiratet mit Arturo, einem Führer der Revolution. Als beide verhaftet werden, hat Jack gerade sein Spiel arrangiert. Er muss zum ersten Mal in seinem Leben eine Entscheidung treffen, die ihm nicht leicht fällt. Er entscheidet sich gegen das "große Spiel" und kauft Roberta aus einem Foltergefängnis frei. Arturo gilt als tot. Jack und Roberta beginnen ein Verhältnis, doch als die Nachricht eintrifft, dass Arturo lebt, verzichtet Jack auf die Liebe seines Lebens. Als Castro am Neujahrstag 1959 die Macht übernimmt, kehrt er als ein anderer Mensch in die USA zurück.
Sydney Pollacks Film bietet - obwohl der Film auf einem US-Luftwaffenstützpunkt auf Santo Domingo gedreht werden musste - ein detailverliebtes, opulentes Bild vom exaltierten, vorrevolutionären Havanna. Anrüchige Bars, Kasinos und dekadente Nachtclubs bilden die Kulisse. Eine genaue Rekonstruktion der Stadt, die einst das "Paris der Karibik" genannt wurde, gibt der Film nur ansatzweise - zu sehr erinnert uns seine Ästhetik an seine Entstehungszeit, die 80er Jahre. Michael Althen schrieb: "Pollacks Blick geht nicht in die Tiefe, sondern in die Breite. In HAVANNA treibt er das auf die Spitze." Natürlich zeigt Pollack sehr viel Oberfläche, aber das ist so gewollt. Er spielt mit den Klischees, kontrastiert die Welt des Scheins - Kuba als Hurenhaus, Glücksspielerparadies in den Händen der Mafia und Hinterhof der USA - von der im Film der Mafiaboss Meyer-Lansky behauptet: "Wir haben dieses Havanna erst konstruiert" - mit der Welt des Seins, mit der Realität von Unterdrückung, Klassenhass, Armut, Idealismus, Korruption, Geheimdiensten, Folter. Diese Welt jenseits der Kasinos, die pure Oberfläche ist, nimmt Jack nur langsam wahr, dann aber um so deutlicher, die düsteren Bilder nehmen überhand. Die politische Geschichte ist also nicht nur bloßer Lokalkolorit für eine Liebesgeschichte à la CASABLANCA.
HAVANNA sollte die Krönung von Sydney Pollacks Schaffen werden und wurde dennoch kein Erfolg - und dies trotz eines Robert Redfords in Bestform und mit einem Raul Julia, der mit seiner explodierenden Wildheit den Film, obwohl er nur wenige der fast 140 Minuten des Films auftaucht, maßgeblich prägt. Vielleicht scheiterte der Film an den Kinokassen, weil sich die Liebesgeschichte zwischen Jack und Roberta nicht richtig entfalten kann. Vielleicht aber auch, weil - im Gegensatz zu CASABLANCA - heute nicht mehr so klar ist, wer in dem Film gut, wer böse ist. Jack ist der smarte Gringo, der zu arrogant ist, dass man sich bedingungslos mit ihm identifiziert - ihm fehlt die zynische Selbstironie von Humphrey Bogart. Und die Revolutionäre? Aus der zeitlichen Perspektive des Films sind sie die Guten. Sie befreien das Land mit Idealismus und Begeisterung von einem Unterdrücker und seinen amerikanischen Hintermännern. Aber heute weiss man, dass die Revolution gescheitert ist, die Macht Castro und Co. korrumpiert hat. Kuba ist eine Diktatur, diesmal nur mit anderen Vorzeichen. Das Paradies Kuba ist nicht Wirklichkeit geworden. Somit ist HAVANNA nur ein elegischer Rückblick auf eine gescheiterte Utopie und ein gescheiterter Versuch, das klassische Hollywood noch einmal aufleben zu lassen - aber dennoch ein sehenswerter.
HAVANNA ist als DVD bei "Universal" erschienen.
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