Auf dem Filmfestival Zürich widmete sich die Reihe "Neue Welt Sicht" dem jungen, dem "Neuen Argentinischen Kino".
Wie es bei einem Filmcoctail leider immer so ist, sind die einzelnen Beiträge des Kurzfilmtageblocks von schwankender Qualität. Highlight ist Santiago Bou Grassos EL EMPLEO (2008) ein animierter Film, der mit sehr viel schwarzem Humor und fantasiereich unsere Arbeitswelt wie auch die argentinische Dauerwirtschaftskrise kommentiert.
Was wäre eine kulturelle Veranstaltung ohne den Tango. Ein zwanzigminütiger Dokumentarfilm von Nicolas Entel porträtiert ein Orchestra Típica, das auf der Fería des bonarenser Stadtteil San Telmo Tangos weniger auf ungewöhnliche Weise als in ungewöhnlicher Optik präsentiert.
CAFÉ DE LOS MAESTROS von Miguel Kohan hält die untergehende Epoche der Altmeister des Tangos noch einmal in Bild und Ton fest. Fürs Kinopublikum spürbar werden die Vitalität der zwischen 70 und 90-Jahre alten Komponisten, Sänger und Musiker. Das Projekt wurde von OSCAR-Preisträger Gustavo Santaolalla (BABEL) geplant, der Film wurde unter anderem von Walter Salles produziert.
UNA NOVIA ERRANTE zeigt die Selbstfindung einer jungen Frau, die ausgerichtet auf dem Weg in den Urlaub von ihrem Freund verlassen wird. Ein Psychogramm mit leisem Humor von und mit Ana Katz.
LOS PARANOICOS von Gabriel Medina ist ein autoreferentieller Film über einen 30-something mit seinen Neurosen und Unsicherheiten, der immer schon unter dem ausgeprägten Ego, dem Erfolg und der Bevormundung seines Studienfreundes Manuel leiden musste. Manuel ist ein Tatmensch, Luciano Gauna, dem die Realitäten des Lebens ein Gräuel sind, ist eigentlich ein "Untergeher" - bis die Demütigungen zu viel werden und sich Gauna endlich einen Ruck gibt. LOS PARANOICOS ist ein Film mit Daniel Hendler, der nur eine unwesentlich andere Rolle als in seinen Arbeiten mit Daniel Burman (EL ABRAZO PARTIDO , DERECHO DE FAMILIA ) spielt. Ein nicht besonders überzeugender Film mit einer schönen Schlussszene, die viele Längen des Films wieder wettmacht.
Den grandiosen HISTORIAS EXTRAORDINARIAS (Mariano Llinás) und UNA SEMANA SOLOS von Celina Murga widmet kinolatino.de ausführliche Artikel.
Zum Schluss sei SIN NOMBRE von Cary Joji Fukunaga aus Mexiko erwähnt. Eine Mischung aus Roadmovie und Gangsterepos, angereichert mit Westernelementen und einer obligatorischen Liebesgeschichte. Das ganze ist im Kontext der illegalen zentralamerikanischen Migration gen USA angesiedelt. Die junge Sayra lebt zufrieden bei Verwandten, bis der ihr nahezu unbekannte Vater auftaucht. Der hatte nach dem Tod von Sayras Mutter sein Glück in den USA gesucht und in New Jersey eine neue Familie gegründet. Als er ausgewiesen wurde, kehrt er in seine Heimat nach Honduras zurück, um gemeinsam mit ihr und seinem Bruder erneut ins "gelobte Land" zurückzukehren. Auf der Reise treffen sie auf Casper, ein abtrünniges Mitglied der gefürchteten "Mara Salvatrucha." Er ist auf der Flucht, weiß aber, dass seine Überlebenschancen gen Null tendieren. Die Maras gewähren kein Pardon, schon gar nicht, weil Casper Gang-Anführer Lil'Mago in einem Racheakt ermordet hat. Zunächst widerwillig wird er dennoch zum Beschützer Sayras, die sich in ihn verliebt hat. Sie glaubt an ein Happy End zwischen den beiden, auch wenn ihre Großmutter ihr prophezeit hatte: "Du wirst in die USA erreichen, doch es nicht Gott, der dich dort hin führt, sondern der Teufel."
Vor wenigen Wochen ging es noch durch alle Medien: Der Fotograf und Filmemacher Christian Poveda wurde mutmaßlich durch Mitglieder von Jugendbanden der "Maras" erschossen werden, kurz nachdem er seinen Dokumentarfilm LA VIDA LOCA aufgenommen hatte. Er wollte mit seinem Film die "menschliche" Seite der "Maras" zeigen, die für viele Gewalttaten in El Salvador und anderen mittelamerikanischen Ländern verantwortlich sind. Fukunagas Films begegnet den Protagonisten ebenfalls voller Respekt, auch dem 12-jährigen Smiley, der in einem Ritual in die Gang aufgenommen wird und zum Todesengel wird. Smiley hat in den Maras eine Ersatzfamilie, eine Ersatzreligiongefunden. "Einmal Mara, immer Mara". Weil Casper abtrünnig gewordenist, will er an seinem ehemals besten Freund Rache üben und folgt ihm.Zurückgreifen kann er auf die imposante Infrastruktur dermächtigen Mara Salvatrucha.
Man schätzt ihre Stärke auf 35000 -allein in Honduras. Ein Staat im Staate, dessen Macht bis in dieMetropolen der USA reicht. Cary Joji Fukunag, der den beschwerlichenWeg der Flüchtlinge zu Recherchezwecken selbst auf sich genommen hatte,setzt sich in einem packenden, bewegenden Thriller mit einerbedeutenden, hier in Europa in seiner Tragweite kaum wahrgenommenenThematik auseinander. Ko-produziert wurde der Film von den immexikanischen Kino omnipräsenten Gael García Bernal und Diego Luna
SIN NOMBRE wird in der Reihe Vistas Latinas auf dem Filmfestival Braunschweig gezeigt.
Weitere Informationen zum CAFÉ DE LOS MAESTROS gibt es in folgendem Artikel , der insofern wieder aktuell ist, da der Tango seit wenigen Wochen Teil des Weltkulturerbes ist.
[Zurück]