Beim letzten Filmfestival in Mar del Plata (Argentinien) lief in der Sektion Memoria en Movimiento der Film EL ÙLTIMO MANDADO von Fabio Junco und Julio Midú. Es handelt sich um einen Film mit polemischem Potential, denn er greift den scheinbar unzerstörbaren Mythos vom Nazi-Hort Argentinien auf.
Die Tochter des gerade verurteilten Nazis verliebt sich auf einer Partyin den amerikanischen Abwehrmann Devlin. Der erkennt in ihr das Mittel,sich an die einstigen Waffenbrüder ihres Vaters heranzumachen. Denn inSüdamerika verfolgen entkommene Nazis schon wieder umstürzlerischePläne. Sie haben sogar Uran in die Hände bekommen - mit einer Atombombewollen sie sich den Weg zum Vierten Reich bahnen. Diese Geschichteerzählte Alfred Hitchcock 1946 in dem Film NOTORIOUS (BERÜCHTIGT). DerFilm wurde zum Welterfolg, auch weil er eine scheinbar reale Bedrohungthematisierte. Selbst in Argentinien machte, zu einer Zeit als der 2. Weltkrieg noch in Europatobte, das Gerücht seinen Lauf, deutschstämmige Argentinier und infiltrierte Nazis würden als 5. Kolonne Hitlers fungieren. Die USA spielten bei der Legendenbildung eine nicht unbedeutende Rolle. 1946 schürten sie die Nazi-Hysterie in einem Propagandafeldzug, der Argentiniens Weg in den Peronismus verhindern sollte. Die Legende bekam im Laufe der Jahre aus unterschiedlichsten Richtungen immer weitere Impulse, so dass sie zum Mythos wurde: selbst "Nazi- Jäger" Simon Wiesenthal fiel auf sie hinein und erweiterte sie. Seine Verschwörungstheorien, es habe eine Zusammenarbeit zwischen Nazis und Vatikan gegeben inspirierte nicht nur Thriller (Frederick Forsyth: "Die Akte Odessa"), sondern auch Sachbücher ("Hitler's Pope) Natürlich: Adolf Eichmann wurde in Argentinien entdeckt, bevor er 1960 auf Anordnung von David Ben Guiron vom Mossad aus Argentinien nach Israel verschleppt und zum Tode verurteilt wurde, auch der Fall Erich Priebkes sorgte in den 90er Jahren noch für Schlagzeilen, generell wurde die Diskussion aber doch eher von zweitklassigen Gerüchten und vom Sensationsjournalismus beherrscht. So vermeldete selbst die sonst so seriöse BBC während des Falklandkrieges in einer Dokumentation, Argentinien habe mit Hilfe von Alt-Nazis eine Atombombe gebaut. Das Thema der Alt- Nazis wird auch Jahrzehnte nach Hitchcocks NOTORIOUS immer wieder dankbar aufgenommen: von den BOYS FROM BRAZIL (mit Gregory Peck und Sir Lawrence Olivier) bis zu den SIMPSONS, bei denen Hitler persönlich noch in Buenos Aires wohnt. In Argentinien selbst sorgte 2005 die Dokumentation ORO NAZI EN ARGENTINA von Rolo Pereyra für Aufsehen, die ebenfalls über eine Komplizenschaft zwischen Schweizer Banken, dem Vatikan und Nazis spekuliert. 2007 läuft nun EL ÚLTIMO MANDADO an. Hier geht es um eine alte Frau, die Jahrzehnte lang ein dunkles Geheimnis über Nazis in Argentinien bewahrt hatte. Ein Film, der dem Mythos wieder neue Nahrung geben wird. Wie sah die Realität aus? Natürlich sind unter den zehntausenden deutschen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in das Einwanderungsland Argentinien gespült wurden, auch viele "schwarze Schafe" und Mitläufer. Wo die New York Times Tausende von Kriegsverbrechern vermutete, wurden aber nur knapp zwei Dutzend bewiesene Fälle gezählt. Dass es dagegen zahlreiche aufrechte Gegner des Faschismus gab (deren Sprachrohr die deutschsprachige Zeitung, das ARGENTINISCHE TAGEBLATT war), wurde weitgehend unterschlagen. Vergessen ist heute auch, dass in Argentinien mehr Juden aus dem NS-Staat Zuflucht fanden als irgendwo sonst außer den USA und Palästina. Auch wenn immer mehr Historiker, wie der Kölner Professor Holger Meding, Licht ins Dunkel der Gerüchteküche bringen, werden sich die Mythen noch lange halten. Auch weil sie ein dankbarer Stoff für Filme sind....
Text: sp
Bild: Mar del Plata Filmfestival
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