¡Hola a todas y todos!

En el proceso de mejora de nuestro sitio web, tomamos una decisión importante para que kinolatino.de se volviera más estructurado, más rápido y menos complicado: a partir de ahora las noticias sobre el cine latinoamericano se escribirán exclusivamente en alemán.

Obviamente, eso no quiere decir que la comunicación en español se termine ahí. Seguimos con la mirada internacional. Por favor: escriban, pregunten, y ponganse en contacto con nosotros, también en castellano, o, ya que estamos, en portugués e inglés.

Saludos cordiales de la redacción.

 

 

Kinolatino.de tiene ahora también cuenta de Facebook ("kinolatino.de") y de Twitter ("@kinolatinoDe")

 


Eine fantastische Frau

Sebastián Lelios preisgekrönter Film UNA MUJER FANTÁSTICA wird ab dem 7. September in Deutschland in den Kinos gezeigt. Kinolatino.de führte auf der Berlinale ein Interview mit dem chilenischen Regisseur.

Wir kennen die Regeln, wie ein Film aufgebaut ist, zumindest kennen wir sie unbewusst. Nach den Konventionen des Hollywood-Films führen bereits die ersten Minuten, also die ersten Szenen des Films, in sein Setting ein. Wir können die Handlung zeitlich und räumlich einordnen, wir wissen wer die Hauptfigur oder die Hauptfiguren sind.

Falls jemand diese Konventionen bricht, wirft uns das erst einmal aus der Bahn, wir sind desorientiert. Aber werden diese Brüche gekonnt eingebaut, können daraus Meisterwerke entstehen - man denke beispielsweise an Alfred Hitchcocks “Psycho”, bei dem die vermeintliche Hauptfigur bereits im ersten Drittel des Films stirbt.

 

Einen ähnlichen Bruch baut auch Sebastián Lelio in seinen bei der Berlinale preisgekrönten Film “Una mujer fantástica” ein. Wir sehen den vermeintlichen Protagonisten Orlando beim Date und wie er mit seiner deutlich jüngeren Freundin Marina deren Geburtstag verbringt. Später geht er mit ihr ins Bett. Mitten in der Nacht wacht er mit Schmerzen auf, nimmt Marinas Anweisungen, die ihn ins Krankenhaus bringen will, gar nicht wahr, verletzt sich auch noch am Kopf, als er eine Treppen hinunterfällt, fühlt sich immer schlechter und stirbt nach kurzer Behandlung im Krankenhaus.

Wir merken, dass etwas nicht stimmt. Marina flüchtet kurz nach der Todesnachricht Hals über Kopf, als der Arzt ankündigt, sie befragen zu wollen.

Was ist passiert? Erst jetzt setzt die wahre Thematik des Films ein.

Die Handlung des Films geht nun in eine andere Richtung und fokussiert sich auf Marina. Diese hieß einmal Daniel und ist eine Transgender-Frau. Sie muss nach dem Tod ihres Liebhabers eine lange Reihe von Demütigungen über sich ergehen lassen. Für die reiche und einflussreiche Familie Orlandos ist sie eine potentielle Mörderin. Eine Kommissarin vom Dezernat für sexuelle Gewalt stellt ihr unangenehme Fragen und zwingt sie dazu, sich nackt von einem Arzt untersuchen zu lassen. Sie sieht in ihr ein potentielles Opfer und glaubt außerdem nicht, dass die beiden ein Paar waren. „Ich arbeite seit 23 Jahren auf der Straße, habe alles gesehen. Ich weiß, was mit Frauen wie dir passiert.“ Gewollt oder ungewollt, spielt Orlando immer noch eine große Rolle in ihrem Leben.

Ungezwungenheit oder Normalität - so etwas erfährt Marina von niemandem. Sie muss sich als pervers oder als gar Chimäre bezeichnen lassen. Die zeigt, wie reaktionär die chilenische Gesellschaft in Teilen noch ist.

Der Film zeigt aber nicht nur die Leidensgeschichte Marinas, man hat das Gefühl, dass er immer wieder in Traumwelten abdriftet. Darin taucht immer wieder Orlando auf: Sie glaubt mehrfach, ihn zu sehen – und Lelio erinnert damit daran, dass es hier nicht nur um die Demütigung einer Transgender-Frau geht, sondern dass Marina in erster Linie schlicht eine Trauernde ist, die ihren Mann verloren hat. Letztlich ist sie auch eine starke Frau: Ella está preparado para el mundo, pero el mundo no está preparado para ella (so drückte es Regisseur Sebastián Lelio im Gespräch aus). Sie lässt sich nicht unterkriegen und letztlich kann sie sich auch von Orlando verabschieden.

Stark ist das nuancierte Spiel der Protagonistin. Die Transgender-Frau trägt dieses Werk, wie schon „La Visita“ (2014), den ersten (ebenfalls dramatischen) chilenischen Spielfilm mit einer Trans-Heldin. LGBT-Filme sind im chilenischen Kino noch wenig verankert. (Eine Ausnahme ist etwa “Núnca vas a estar solo”, der auf der vergangenen Berlinale gezeigt und mit dem “Teddy” ausgezeichnet wurde.)

“Vielleicht schreibt jemand für Vega mal eine Komödie oder eine Liebesgeschichte. Trans ohne Tragik. Es wäre nicht nur für den queeren Film eine Bereicherung”  - so schrieb der “Tagespiegel” zu Recht.

Lelio verwendet starke Bilder, manchmal sind sie aber so stark mit Bedeutung aufgeladen, dass man  von  überplakativen Inszenierungen sprechen kann. Dies zeigt, dass Sebastián Lelio (wie so viele andere Regisseure) dem Zuschauer wenig Interpretationsfähigkeit zutrauen. Dennoch: der Chilene gehört aktuell  zu den spannendsten Regisseuren des lateinamerikanischen Kinos.

 

In einem Interview, das während der Berlinale geführt wurde, erzählt Lelio, dass das Originaldrehbuch für den Film - die Handlung beruht also nicht auf einer Romanvorlage - aus Intuition entstand. Bei all seinen Werken geht es für ihn darum, im Drehbuch den Zeitgeist einzufangen (“capturar el Zeitgeist”), dieses Thema habe für ihn ein großes Potential gehabt, bei dem er selber auch noch viel lernen konnte. Im Interview sagte er, dass er vor seinen Recherchen zum Buch selber keine Transgender-Frauen persönlich gekannt habe.

Was er genau mit dem Wort “Zeitgeist” meint, erklärt er auch: Viele Gesellschaften weltweit würden heute am Scheideweg stehen. Mit Verweis auf die USA sagt er, man könne den populistischen, simplifizierenden Weg gehen, sich abschotten und Mauern bauen, oder aber sich auf die Komplexität des gesellschaftlichen Zusammenlebens, das die Welt widerspiegelt, einlassen. Die Thematik würde aber auch grundsätzliche und konfrontative Fragen aufwerfen: Wie möchten wir selber leben? Wie tolerant sind wir gegenüber Menschen, die sich für einen Lebensentwurf entscheiden, der nicht den üblichen Mustern entspricht? Wer definiert überhaupt, was normal ist?

 

Auf die Frage, warum er sich dafür entschieden habe, den vermeintlichen Protagonisten gleich am Beginn des Films sterben zu lassen, antwortet er, dass er sich auch hier entschieden habe, einen konfrontativen Weg zu gehen. Der Zuschauer würde gezwungen werden, sich zu entscheiden, sich vielleicht auch mit Themen auseinanderzusetzen, über die er selbst noch nicht nachgedacht hat. Identifiziert er sich mit der Protagonistin oder ist er gegen ihren Lebensentwurf. Hält er die Beziehung zwischen Orlando und Marina für legitim?  Der Film werfe vielerlei Fragen auf. Er beinhalte aber auch eine gewisse “inestabilidad.” Der Zuschauer müsse immer wieder seine Entscheidung hinterfragen, überdenken und das Bild, das er von Marina hat, immer wieder neu für sich zusammensetzen.

Die Konstruktion der Handlung mit ihren Wendungen sollte im besten Falle, den Zuschauer auf eine Reise mitnehmen, an deren Ende dieser verstehe, dass es die Beziehung zwischen Orlando und Marina keine Berechnung gewesen sei, sondern, dass es sich um wirkliche Liebe handelte.

 

Was sind die filmischen Vorbilder von Sebastián Lelio für “Una mujer fantástica”? Überraschend ist, dass Sebastián Lelio Buster Keaton als direkten Einfluss für den Film nennt, die anderen Namen überraschen weniger: Louis Malle und Busby Berkeley.

Es gibt im Film eine sehr ikonische Szene, die in einer Diskothek angesiedelt ist, die eine Flucht der Protagonistin aus der Realität beschreibt. Diese Choreographie geht direkt  auf das Werk des großen Choreographen Berkeley zurück.

Die Struktur des Films ist sehr rhythmisch aufgebaut - dies ist auch bei Lelios Vorgängerfilm “Gloria” der Fall. Dies bezieht sich aber nicht nur auf die Bildebene. Inhalt und Musik ergänzen sich, doppeln sich. Für “Una mujer fantástica” konnte Lelio auf Stücke von Matthew Herbert zurückgreifen, den britischen Produzenten elektronischer Musik (es handelt sich um einen Original-Score).

 

Die transsexuelle Darstellerin Daniela Vega bildet das Kraftzentrum des Films (Lelio verwendet die Begriffe “oscilante” und “vibrante”, um sie zu beschreiben). Ihre Entdeckung bezeichnet Sebastián Lelio als Glücksgriff. Erst habe er sie nur telefonisch über Empfehlungen kennengelernt. Sie sollte eigentlich nur Drehbuchberaterin für den Film werden. Schnell stellte sich aber heraus, dass sie die Protagonistin des Films sein müsse. Sie singt auch das emotionale Stück von Händel “Ombra mai fù”, das den Film abrundet und das die Protagonistin mit sich versöhnen lässt.

 

Immer wieder verwendet Lelio den Begriff “transgenero”, was sich nicht nur auf die Genderthematik des Films bezieht, sondern auch auf das Filmgenre von “Una mujer fantástica.” Es handelt sich um eine Mischung aus Drama, Thriller, Tanzfilm, Krimi und Melodrama. Das Genre ist genauso komplex wie die Thematik.

 

Eine letzte Frage bei dem Interview lautete, welche Kategorie von Regisseur er sei. Die Antwort lautet, er sei kein Regisseur “mandón”, er würde den Schauspielern viel Freiheit lassen, sie improvisieren lassen. “Gloria” sei (in den Dialogen) vollkommen improvisiert gewesen.  “El guión es un órgano vital del cine, pero el cine no es el guión. El guión es la mapa, pero jamás el territorio.”

Entscheidend sei aber die Form des Films.

In langen Einstellungen würden er den Schauspielern ihre Freiheit lassen, sich von ihnen inspirieren lassen. Er würde aber die Aufnahmen häufig wiederholen lassen, bis er glaubt, dass die Szenen die nötige Tiefe besäßen. Manchmal würde es aber passieren, dass “der Produzent sagt: jetzt ist Schluss.”

Er sei beim Dreh dennoch nicht perfektionistisch. Perfekt müsste aber der Schnitt des Films sein, dem er sehr viel Aufmerksamkeit zukommen lässt.

 

Derzeit arbeitet Lelio an einem neuen Film. Viel wollte er nicht verraten, nur soviel: Protagonistin ist Rachel Weisz. Lelio verlässt also sein gewohntes Territorium und dreht auf Englisch. Gedreht wurde in New York und London.

 


[Zurück]

  gefördert von:
klfslogo_sw_mit_schrift