Es geht um eine Lebenslüge und Diktaturverbrechen, um Identität und Familienbande, um eine Zerreißprobe und den Versuch, Gerechtigkeit zu schaffen. Die beiden Kölner Filmemacherinnen Regina Mennig und Jenny Hellmann haben im letzten Jahr begonnen, einen Dokumentarfilm über zwei Menschen zu drehen, die während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) ihren Eltern entrissen wurden und unter einer falschen Identität aufwuchsen. Mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne wollen sie nun eine abschließende Drehphase finanzieren.
Catalina de Sanctis (36) und Hilario Bacca (35) kommen beide während der argentinischen Militärdiktatur als Kinder politischer Dissidenten im Foltergefängnis zur Welt und wachsen in Familien mit direkten oder indirekten Verbindungen zum Militärregime auf. Sie sind bereits Mitte Zwanzig, als sie erfahren, wer ihre leiblichen Eltern waren. Die Paare, bei denen sie groß geworden sind, werden daraufhin wegen Kindesraubs angeklagt.
Obwohl es viele Parallelen zwischen den Geschichten der beiden Protagonisten des Films gibt, ist der Umgang mit der Situation grundverschieden. Catalina tritt im Prozess als Mitklägerin gegen die Menschen auf, die sie einst „Mama“ und „Papa“ nannte und die sie jahrelang belogen haben. Bei der Verkündung des Urteils, das eine Haftstrafe von 12 bzw. 15 Jahren gegen das Ehepaar vorsieht, schreit Catalina vor Erleichterung auf. Hilario verteidigt seine Zieheltern hingegen unter Tränen vor Gericht. Er habe Angst vor dem Urteil der Richter, vor der Politik und davor noch mehr zu verlieren. Er sieht seine Zieheltern am unteren Ende einer Kette von Verantwortlichkeiten und ist überzeugt: „Den Kindesraub, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, haben Andere begangen – nicht meine Eltern“.
110 Geschichten über geraubte Kinder sind seit dem Ende des Diktatur im Jahr 1983 bekannt geworden - verstärkt, nachdem die linke Regierung von Néstor Kirchner ab 2003 die Aufarbeitung der Diktatur-Vergangenheit zur Chefsache ausgerufen und den Menschenrechtsbewegungen im Land damit neuen Schwung verliehen hat.
Von Europa aus könnte das Schicksal der geraubten Kinder in Argentinien erscheinen wie eine Geschichte vom anderen Ende der Welt. Im Grunde ist es aber die Geschichte eines besonders weit reichenden Übergriffs von Diktaturen - nämlich des Versuchs, die Gesinnung des politischen Feindes bis in die Generation seiner Kinder auszumerzen. Und damit können die Schicksale unserer Protagonisten Hilario und Catalina Denkanstöße geben für Schicksale mitten in Europa.
In Spanien ist von Zehntausenden Kindern von Gegnern der Franco-Diktatur die Rede, die ihren Eltern geraubt und an regimetreue Familien gegeben wurden. Auch in der ehemaligen DDR sollen Hunderten Republikflüchtlingen die Kinder weggenommen worden sein. In Spanien wie im wiedervereinigten Deutschland tut man sich mit der Aufarbeitung bis heute schwer.
Jenny Hellmann und Regina Mennig wollen mit ihrem Dokumentarfilm den Blick freigeben auf ein Land, in dem die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen schon weiter fortgeschritten ist - ohne zu verschweigen, auf welche Schwierigkeiten alle Beteiligten dabei stoßen.
Erste Einblicke in das Filmmaterial und weitere Informationen sind auf der Startnext-Projekthomepage zu finden. Hier kann auch das Projekt direkt unterstützt und ein Beitrag dazu geleistet werden, eine abschließende Drehphase zu ermöglichen:
www.startnext.de/geraubte-kinder
Vielen Dank an die Regisseurinnen für den Text!
S.P.
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