Auf dem 59. Festival Internazionale DelFilm Locarno, das im August dieses Jahres stattgefunden hat, konnteman Werke einer neuen Generation lateinamerikanischer Filmemacherbestaunen. Diese lassen sich durch ökonomische Zwänge nichtin ihrer Kreativität beeinträchtigen , sondern entwickelnmit beeindruckenden visuellen Konzepten, realen Personen, digitalerTechnik und vielen Ideen eine neue Bildsprache. Ute Mader war beimFestival zugegen, konnte mit den Filmschaffenden reden und stellt nundrei frische Werke vor. Den Anfang macht heute AGUA von derargentinischen Regisseurin Verónica Chen.
AGUA – von Ute Mader
AGUAvon der argentinischen Regisseurin Verónica Chen -ursprünglich ein 'Work in Progress'-Projekt aus dem Jahre 2003 -wurde in Locarno im Wettbewerb präsentiert und von derÖkumenischen Jury sowie mit dem Jugendumweltpreis ausgezeichnet.Mit faszinierenden Unterwasseraufnahmen und sparsamen Dialogenerzählt der Film von der Herausforderung des LeistungsschwimmersGoyo, der vor Jahren des Dopings bezichtigt worden war und sich indie Einsamkeit zurückgezogen hatte. Nun kehrt er zurück, umsich noch einmal bei einem Wettkampf im offenen Gewässer zubeweisen. Während der Vorbereitungen trainiert er den jungenChino, der gerade an der Qualifikation zur argentinischenMeisterschaft gescheitert ist. Verónica Chen findetbeeindruckende Bilder vom Wasser, die in ihrer Klarheit für sichsprechen, jedoch auch seine Trübheit und Trugbilderthematisieren. Wunderbare Farben, die das Spektrum der Farbskala vonblau über grün und braun in Bildern festhalten, zeugen vonder Faszination für das nasse Element. Es geht um die sportlicheHerausforderung, um Zeit, Rhythmus und darum, ans Ziel zu gelangen.Aber auch um zwei Männer unterschiedlichen Alters, die zu sichselbst finden.
Verónica, hat der Filmeinen persönlichen Bezug?
Ja, ich war selbst mal Schwimmerin und ich wollte Charaktere zeigen,die sich einer Herausforderung stellen. Diese Sportart ist inArgentinien keineswegs populär und um nicht aufzugeben, brauchtman viel Leidenschaft und Durchhaltevermögen. Das Thema an sichist widersprüchlich, denn dieser Sport frisst dich auf, manbewegt sich nicht normal, man hat keine Beziehungen und man ist ganzallein auf sich gestellt. In dem Film geht es um Gefühle undEindrücke, es geht ums Empfinden und Sehen.
Warum schwimmt Goyo nicht weiterund bricht den Wettkampf ab?
Manchmal wissen wir nicht, warum wir irgendwelche Dinge tun. Erschämt sich an einem bestimmten Punkt und seine dunkle Seitekommt zum Vorschein. Wir alle haben unsere dunklen Seiten. Chinobringt den Wettkampf für ihn zu Ende. Das ist keine rationaleEntscheidung, aber auch eine Option, um einen Wettkampf an und fürsich ad absurdum zu führen. In Argentinien Sportler zu sein istso ähnlich wie Filme zu machen, da muss man einige Opferbringen.
Ist die Figur des Goyo die einestragischen Helden?
Der Film ist etwas verspielt und surrealistisch: Themen sindEinsamkeit, Verrücktheit und Sprachlosigkeit. Starke Frauen undschwache Männer sind ein starkes Gegensatzpaar. Die Männersind verletzlich und schwach, Außenseiter, die Frauen sindstark, sie ernähren die Familie und gehen ihren eigenen Weg! Ichhabe anderthalb Jahre am Drehbuch gearbeitet und viel Zeit fürdie Nachforschungen benötigt. Dabei habe ich sehr viel Zeit imWasser verbracht, um zu erfahren, was in den Schwimmern vorgeht. Hiersind auch einige Kommunikationsprobleme entstanden: die Schwimmermussten bis zu zehn Stunden im Wasser verbringen und konnten kaumkommunizieren.
Auf der Tonspur befindet sich sehreindrucksvolle Musik, die die Faszination der Bilder hervorhebt...
Ich wollte damit deutlich machen, was sich im Kopf der Schwimmerabspielt und hatte den Anspruch, das Thema sehr realistischanzugehen. Das musikalische Thema ist bewegt, Gefühle undEmotionen bewegen sich wie die Körper. Es ist auch viel Haut zusehen, die Schwimmer setzen sich sozusagen dem Zuschauer aus.
Es gibt viele bestechende Momente,in der sich die Kraft der Bilder voll entfaltet...
Ich arbeite mit einem komplexen visuellen Konzept aus Licht undFarben. Ich wollte das klarste Bild, das ich bekommen konnte, soscharf wie ein Messer. Wir arbeiteten auch mit der Dunkelheit beiNacht, der Tag beendet ja die Nacht als eine Art Kontrapunkt, wennman so will. Zudem gibt es Gewässer mit klarem, aber auch mitbraunem Wasser. Wenn man in diesem tauchen würde, wäre manblind, weil man nichts sieht. Im Becken hingegen haben wir klarereVerhältnisse.
Können in Argentinien Filmeohne europäische finanzielle Beteiligung entstehen?
Das Budget betrug 700.000 Euro und über die enormenFinanzierungsprobleme erfuhren wir große Einschränkungen,da wir mit reduzierten Mitteln arbeiten mussten. Es ist auch einmerkwürdiges Gefühl, soziale Realität zu filmen: inVAGÒN FUMADOR (2002 fertiggestellt) filmte ich die Kassen, diespäter gestürmt wurden und in AGUA wird unser Gefühlder Unsicherheit manifest, das wir in diesen Augenblicken empfanden.Es wird die kollektiven Anstrengung klar, die wir unternommen haben.Auf jeden Fall kommt der Film in Argentinien Ende September in dieKinos und ich bin auf die Reaktion des Publikums gespannt. Die Pressezumindest hat den Film beim Festival in Buenos Aires positivaufgenommen.
Text: Ute Mader
Bild: Cine Nacional
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