Vor etwa einem Jahr hat kinolatino.de in einem Artikel über eine Aktion der "Steadycam" aufmerksam gemacht: die Macher dieser wunderbaren Filmzeitschrift hatten Kritiker, Regisseure, Autoren und andere Enthusiasten eingeladen, IHRE Auswahl von filmischen Highlights zu nennen. Es ging der "Steadycam" nicht darum, Filme unter Motti wie "Filme, die man gesehen haben muss bevor man zu stirbt" o.ä. uns aufzuoktroyieren, man wollte nur eine sehr persönliche Auswahl von Lieblingsfilmen zusammenstellen. Das Ergebnis, eine umfangreiche Favoriten-Liste, die letztlich 2127 Filmen (!!) aus der Zeit von 1905 bis 2006 umfasste, Filme aus zahlreichen Ländern, unterschiedlichen Kulturen und Kontinenten und dabei alle erdenklichen Genres, die ganze Bandbreite zwischen intellektuellen Kunstfilm und Splatterfilm, abdeckte, verdeutlichte eher noch anschaulich die Unmöglichkeit der Kanonisierung von Filmen. Dennoch gibt es solche Versuche immer wieder - häufig sind die Ergebnisse dabei absehbar. Nun veröffentlicht DAS Filmmagazin, die "Cahiers du cinéma", die für viele immer noch als die bedeutendste Filmzeitschrift gilt, eine Auflistung mit dem Titel "100 films pour une cinémathèque idéale". Hier das Ergebnis:
Claude-Jean Philippe erstellte zusammen mit 78 Filmkritikern und anderen Persönlichkeiten der französischen Filmbranche einen Kanon, der wenig überraschend von Orson Welles CITIZEN KANE angeführt wird. Erstaunlich jedoch - war die "Cahiers" doch einstmals Avantgarde - ist die Rückwärtsgewandtheit der Kritiker: der jüngste Film unter den Top 20 stammt aus dem Jahr 1963 und ist LE MÉPRIS von Jean- Luc Godard.
Und: leider ist es wiederum wenig erstaunlich, dass in einer Liste, die sehr Europa-zentriert ist (kein Steven Spielberg, wenig Hollywoodkino, dafür ein großer Anteil an französischen Produktionen) auch fast kein Platz für lateinamerikanisches Kino war. Einziger Vertreter des Kino Latinos ist der gebürtige Spanier Luis Buñuel mit seinem in Mexiko entstandenen ÉL (1952/53). Es gibt darin sonst keinen Film aus Brasilien, keinen aus Argentinien oder den mittleren und kleineren Filmindustrien Süd- oder Mittelamerikas. Auch wenn ein Filmkanon immer nur subjektiv sein kann, hat diese Liste der "Cahiers" doch eine gewisse Aussagekraft über das lateinamerikanische Kino: es wird immer noch - außerhalb der Filmfestivals - kaum wahrgenommen und hat deswegen nur eine kleine Lobby. Darum gibt es aber kinolatino.de: wir bemühen uns, dass die lateinamerikanische Filmkultur und -tradition ein wenig mehr festverankerte Präsenz (vielleicht auch Akzeptanz) erhält, die angemessen wäre und die das lateinamerikanische Kino auch verdient.
sp
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