Eine Handvoll Filme aus Lateinamerika feiert auf der diesjährigen Berlinale ihre internationale Premiere. A CASA DE ALICE (deutscher Titel: BEI ALICE ZU HAUSE) vom brasilianischen Regisseur Chico Teixeira, der in Berlin in der Sektion Panorama läuft, ist die zweite Produktion, die wir genauer unter die Lupe genommen haben. Bei dem Film handelt es sich um ein ebenso interessantes wie schnörkelloses Porträt einer Familie aus einem Arbeiterviertel in São Paulo.
Alice, eine Frau von ungefähr 40, arbeitet in einem Nagelstudio, während ihre alte, fast blinde Mutter, Doña Yacira, den Haushalt schmeißt. Lindomar, Alices Ehemann und Taxifahrer, bringt zwar seine Einkünfte abzüglich der Verluste vom alltäglichen Dominospiel mit den Kollegen mehr oder minder brav nach Hause, rührt dafür aber daheim keinen Finger. Und auch die drei Söhne Lucas, Edinho und Junior pinkeln lieber im Stehen bei heruntergeklappter Klobrille oder üben sich in Respektlosigkeit gegenüber der Großmutter als den zwei Damen des Hauses unter die Arme zu greifen. Als dann auch noch klar wird, dass Lindomar eine kaum versteckte Affäre mit der blutjungen Nachbarstochter angefangen hat, welche wiederum dreist genug ist, Alice nach Rat fragt, wie der "verheiratete, ältere Mann" am besten um den Finger zu wickeln ist, läuft Alices Fass über. Doch auch die eigene Flucht auf Zeit in die Arme ihrer Jugendliebe Nelson offenbart nur mehr Abgründe auf allen Seiten.
Die Bilder in A CASA DE ALICE sind von einer simplen, alltäglichen Schönheit, die dem Zuschauer die Identifikation mit der Protagonistin und ihren Problemen in einer von Machismo geprägten Welt leicht machen, aber auch die wenigen sorglosen Momente sehr greifbar erscheinen lassen. Insgesamt wird oft genug ein erstaunlich unterhaltsamer, (selbst-)ironischer und lebensbejahender Ton angeschlagen. Selbst wenn also das Ende offen bleibt und für die Zukunft eher weiteres Trübsal als den großen Durchbruch verspricht, ermuntert der Film dazu weiterzumachen, sich durchzubeißen, ganz wie Alice. Das Leben ist nun mal keine Ponywiese.
P.S.: Auch der Tagesspiegel hat A CASA DE ALICE gesehenund rezensiert.
Text: hsn
Bild: Berlinale
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